Die religiöse Bindung schwindet
Verfasst: Dienstag 22. Juli 2025, 18:42
Von: Ralf Nestmeyer
Selbst ohne Kirchensteuer würden nur wenige Menschen wieder in die Kirche eintreten
Seit Jahren wird das vermeintliche Hauptmotiv für den Kirchenaustritt wie ein Mantra wiederholt: die Kirchensteuer. Sie gilt vielen als Symbol für eine überholte Institution, als finanzielle Belastung oder als bürokratische Zumutung. Doch eine neue repräsentative Umfrage zeigt: Diese Erklärung greift viel zu kurz. Der schwindende Rückhalt der Kirchen in der Bevölkerung lässt sich nicht allein monetär begründen. Die Zahlen dokumentieren einen tiefgreifenden kulturellen und gesellschaftlichen Wandel.
Laut einer vom Meinungsforschungsinstitut YouGov durchgeführten Umfrage im Auftrag der katholischen Kirche würden gerade einmal sechs Prozent der Befragten im Fall einer Abschaffung der Kirchensteuer (wieder) in die Kirche eintreten. 37 Prozent der Befragten erklärten hingegen, dass sie auch ohne Kirchensteuer keinen Grund sähen, (wieder) Mitglied zu werden. Sogar unter den über 55-Jährigen – also den Altersgruppen mit traditionell höherer Kirchenbindung – würde eine klare Mehrheit nicht zurückkehren. Diese Zahlen sind ein eindeutiges Statement: Die Bindung an die Institution Kirche ist in der Breite der Gesellschaft längst erodiert.
Mit anderen Worten: Es ist nicht der Beitrag auf dem Steuerbescheid, der Menschen von den Kirchen fernhält. Es ist das, wofür die Kirchen stehen – oder eben nicht mehr stehen. Viele empfinden die Kirche nicht mehr als moralische Instanz, spirituelle Heimat oder gesellschaftliche Kraft.
Stattdessen haftet ihr das Image einer intransparenten, machtfixierten und überforderten Institution an, die über Jahrzehnte mit Skandalen, Missbrauch von Schutzbefohlenen und Relevanzverlust zu kämpfen hatte – und es weiterhin tut.
Die Kirchensteuer mag für einige ein Anlass zum Austritt sein, doch sie ist selten der eigentliche Grund. Wer sich innerlich längst entfremdet hat, wer keinen Bezug mehr zu Gottesdiensten, Sakramenten und der kirchlichen Ethik hat, der wird auch ohne finanzielle Verpflichtung den Weg nicht zurückfinden. Und wer bleibt, tut dies in der Regel aus Überzeugung – nicht aus Angst vor dem Steuerabzug.
Dabei erinnert der stete Versuch, die Ursachen des Mitgliederschwunds auf die Kirchensteuer zu reduzieren, an eine andere kirchliche Nebelkerze: die sogenannte Caritas-Legende. Sie suggeriert, ohne die Kirchen breche das soziale Netz zusammen – als sei christliche Wohlfahrt das einzige soziale Engagement in unserer Gesellschaft. Dem ist natürlich nicht so. Gerne wird zudem regelmäßig verschwiegen, dass die kirchlichen Sozialkonzerne wie Caritas und Diakonie weit über 90 Prozent vom Staat, also auch von den konfessionsfreien Bürgern und Steuerzahlerinnen finanziert werden – und nicht etwa aus der vielbeschworenen "Gemeindekollekte". Was bei Caritas & Co. als "Nächstenliebe" etikettiert wird, ist in Wahrheit zu einem gut alimentierten Dienstleistungsbetrieb mutiert, der nicht nur kirchliche Macht mit staatlicher Finanzierung kombiniert und absichert, sondern auch ein eigenes Arbeitsrecht mit unzeitgemäßen Moralklauseln aufrecht erhalten will.
Nicht die Kirchensteuer treibt die Menschen aus der Kirche – es ist der Verlust an Bedeutung der Institution selbst. Die Kirchen haben ihre gesellschaftliche Verankerung weitgehend eingebüßt, weil ihre moralische Autorität, auf die sie sich so lange beriefen, durch systematischen Missbrauch und institutionelles Wegsehen tief erschüttert wurde. In einer zunehmend säkularen Gesellschaft fragen sich viele nicht mehr, ob sie sich die Mitgliedschaft leisten können, sondern warum sie sie überhaupt brauchen.
Die Zahl derer, die heute keine Antwort mehr auf die Frage finden, wozu man überhaupt einer Kirche angehören sollte, wächst in Westeuropa rapide. In einer aufgeklärten, pluralistischen Gesellschaft, in der Menschen selbstbestimmt denken und entscheiden, braucht es keine Mittlerinstitution mehr, die Glauben verwaltet und überkommene Machtstrukturen hütet. Der Bedeutungsverlust der Kirchen in Deutschland ist nicht aufzuhalten – nicht durch Reformrhetorik, nicht durch karitative Aushängeschilder und schon gar nicht durch den Verzicht auf ein paar Prozentpunkte vom Gehalt.
https://hpd.de/artikel/religioese-bindu ... ndet-23260
Selbst ohne Kirchensteuer würden nur wenige Menschen wieder in die Kirche eintreten
Seit Jahren wird das vermeintliche Hauptmotiv für den Kirchenaustritt wie ein Mantra wiederholt: die Kirchensteuer. Sie gilt vielen als Symbol für eine überholte Institution, als finanzielle Belastung oder als bürokratische Zumutung. Doch eine neue repräsentative Umfrage zeigt: Diese Erklärung greift viel zu kurz. Der schwindende Rückhalt der Kirchen in der Bevölkerung lässt sich nicht allein monetär begründen. Die Zahlen dokumentieren einen tiefgreifenden kulturellen und gesellschaftlichen Wandel.
Laut einer vom Meinungsforschungsinstitut YouGov durchgeführten Umfrage im Auftrag der katholischen Kirche würden gerade einmal sechs Prozent der Befragten im Fall einer Abschaffung der Kirchensteuer (wieder) in die Kirche eintreten. 37 Prozent der Befragten erklärten hingegen, dass sie auch ohne Kirchensteuer keinen Grund sähen, (wieder) Mitglied zu werden. Sogar unter den über 55-Jährigen – also den Altersgruppen mit traditionell höherer Kirchenbindung – würde eine klare Mehrheit nicht zurückkehren. Diese Zahlen sind ein eindeutiges Statement: Die Bindung an die Institution Kirche ist in der Breite der Gesellschaft längst erodiert.
Mit anderen Worten: Es ist nicht der Beitrag auf dem Steuerbescheid, der Menschen von den Kirchen fernhält. Es ist das, wofür die Kirchen stehen – oder eben nicht mehr stehen. Viele empfinden die Kirche nicht mehr als moralische Instanz, spirituelle Heimat oder gesellschaftliche Kraft.
Stattdessen haftet ihr das Image einer intransparenten, machtfixierten und überforderten Institution an, die über Jahrzehnte mit Skandalen, Missbrauch von Schutzbefohlenen und Relevanzverlust zu kämpfen hatte – und es weiterhin tut.
Die Kirchensteuer mag für einige ein Anlass zum Austritt sein, doch sie ist selten der eigentliche Grund. Wer sich innerlich längst entfremdet hat, wer keinen Bezug mehr zu Gottesdiensten, Sakramenten und der kirchlichen Ethik hat, der wird auch ohne finanzielle Verpflichtung den Weg nicht zurückfinden. Und wer bleibt, tut dies in der Regel aus Überzeugung – nicht aus Angst vor dem Steuerabzug.
Dabei erinnert der stete Versuch, die Ursachen des Mitgliederschwunds auf die Kirchensteuer zu reduzieren, an eine andere kirchliche Nebelkerze: die sogenannte Caritas-Legende. Sie suggeriert, ohne die Kirchen breche das soziale Netz zusammen – als sei christliche Wohlfahrt das einzige soziale Engagement in unserer Gesellschaft. Dem ist natürlich nicht so. Gerne wird zudem regelmäßig verschwiegen, dass die kirchlichen Sozialkonzerne wie Caritas und Diakonie weit über 90 Prozent vom Staat, also auch von den konfessionsfreien Bürgern und Steuerzahlerinnen finanziert werden – und nicht etwa aus der vielbeschworenen "Gemeindekollekte". Was bei Caritas & Co. als "Nächstenliebe" etikettiert wird, ist in Wahrheit zu einem gut alimentierten Dienstleistungsbetrieb mutiert, der nicht nur kirchliche Macht mit staatlicher Finanzierung kombiniert und absichert, sondern auch ein eigenes Arbeitsrecht mit unzeitgemäßen Moralklauseln aufrecht erhalten will.
Nicht die Kirchensteuer treibt die Menschen aus der Kirche – es ist der Verlust an Bedeutung der Institution selbst. Die Kirchen haben ihre gesellschaftliche Verankerung weitgehend eingebüßt, weil ihre moralische Autorität, auf die sie sich so lange beriefen, durch systematischen Missbrauch und institutionelles Wegsehen tief erschüttert wurde. In einer zunehmend säkularen Gesellschaft fragen sich viele nicht mehr, ob sie sich die Mitgliedschaft leisten können, sondern warum sie sie überhaupt brauchen.
Die Zahl derer, die heute keine Antwort mehr auf die Frage finden, wozu man überhaupt einer Kirche angehören sollte, wächst in Westeuropa rapide. In einer aufgeklärten, pluralistischen Gesellschaft, in der Menschen selbstbestimmt denken und entscheiden, braucht es keine Mittlerinstitution mehr, die Glauben verwaltet und überkommene Machtstrukturen hütet. Der Bedeutungsverlust der Kirchen in Deutschland ist nicht aufzuhalten – nicht durch Reformrhetorik, nicht durch karitative Aushängeschilder und schon gar nicht durch den Verzicht auf ein paar Prozentpunkte vom Gehalt.
https://hpd.de/artikel/religioese-bindu ... ndet-23260