Die Geschichte der Religion
Verfasst: Montag 10. Januar 2022, 11:16
Religion ist ein Sammelbegriff für eine Vielzahl unterschiedlicher Weltanschauungen, die menschliches Verhalten, Handeln, Denken und Fühlen prägen, die Wertvorstellungen normativ beeinflussen und deren Grundlage der jeweilige Glaube an bestimmte transzendente Kräfte und damit verbundene heilige Objekte ist.
Entwicklung der Religionen
Die religiösen Vorstellungen schriftloser Kulturen (siehe auch Illiteralität) – häufig als Naturreligionen bzw. ethnische Religionen bezeichnet – wurden aufgrund ihrer angeblichen „Primitivität“ lange für die ältesten Formen von Religion gehalten. Aufgrund der nicht vorhandenen Dogmen und ihrer großen Anpassungsfähigkeit an veränderte Bedingungen sind sie jedoch ganz im Gegenteil sämtlich jünger als die bekannten „Hochreligionen“.
Auch sie unterliegen demnach einem historischen Wandel und werden daher heute nicht mehr im Sinne unveränderter Traditionen verstanden. Dennoch halten etliche Prähistoriker an der Auffassung fest, die Religionen der Vorzeit ließen sich aus Vergleichen mit heutigen „primitiven Religionen“ rekonstruieren. Dabei wird außer Acht gelassen, dass auch diese Glaubenssysteme irgendwann einmal einen Anfang gehabt haben müssen, der erheblich einfacher gedacht werden muss als die komplexen Weltbilder gegenwärtiger Indigener.
Allgemein wird heute eine direkte Evolution der Religionen in engem Zusammenhang mit dem Wandel der Sozialstrukturen postuliert, weil der Glaube offenbar gewisse Aspekte des Zusammenlebens positiv beeinflusst.
Konkret wird ihre Entwicklung von der Umwelt, der Bevölkerungszahl und Demographie, des Technologiestandes, der Politik und der Wirtschaft beeinflusst. Allerdings ist man sich über die konkreten Selektionsvorteile der Religionen nach wie vor uneinig. Weder die Förderung altruistischen Verhaltens noch ein konkreter Einfluss auf die Reproduktionsrate sind zweifelsfrei belegt.
Mutmaßlicher Beginn der Religiosität
Die reflektierende Wahrnehmung führte zu einer ersten Kategorisierung der Welt in zahlreiche duale Gegensätze wie Mensch/Tier, Himmel/Erde, wahr/falsch, Recht/Unrecht, u.v.m. Dabei stellte der Mensch fest, dass sich ihm manches Unbekannte erschließt, manches jedoch unerreichbar bleibt – demnach „übernatürlich“ ist.
Am Anfang der globalen Religionsentwicklung standen vermutlich einige erste Religionen in der mittleren Altsteinzeit, die sich durch spezifische Eigenschaften, darunter vor allem durch eigene Anpassungen an ihre jeweilige Umwelt auszeichneten.
Das archäologisch durch Funde (vor allem Grabstellen und Grabbeigaben) belegbare Frühstadium der Religionen deutet auf animistische Vorstellungen mit einer reichen Geisterwelt hin.
Es spricht einiges dafür, dass ein Herr oder eine Herrin der Tiere – wie noch vor kurzem bei nahezu allen Jägervölkern als Beschützer der Tierwelt und Machthaber über das Wohl und Wehe der Jäger – als erste gottähnliche Idee existierte.
Konkrete Rekonstruktionen und Übertragungen von rezenten, schriftlosen Kulturen auf die Vorgeschichte – wie etwa schamanistischer Praktiken oder religiöser Vorstellungen wie Mana (übernatürliche Kraft), Tabu (strikte ethische Verbote) und Totem (spirituelle Verwandtschaft zu Naturerscheinungen) – gelten heute jedoch als hoch spekulativ und unbeweisbar.
Als sicher gilt lediglich, dass religiöse Darstellungen altsteinzeitlicher Jäger sich trotz unterschiedlicher Umweltbedingungen ähneln. Dennoch muss man aufgrund der Isolation der weit verstreuten Menschengruppen der Vorzeit davon ausgehen, dass bereits damals eine große Zahl an religiösen Auffassungen existierte. Die Einteilung der Welt in duale Gegensätze war der erste Ansatzpunkt für die „archaische Religion“: Das Unerreichbare wurde als geheimnisvolle, zweite Realität erkannt; der Gegensatz von einem Diesseits und einem Jenseits wurde zur festen Überzeugung und zur Basis des mythischen Denkens.
Die ältesten Kulte
Ab 12.000 v. Chr.: Vor- und Frühgeschichtliche Kulte, Medizin- und Jagdzauber sowie Totenkulte als Keimzellen der Religiosität: Zunehmend differenzierte Bestattungsriten wie Gräberfelder, Totenfeuer, Schädeldeponierung und Gräber in oder unter Häusern.
Im Laufe der jüngeren Altsteinzeit und Mittelsteinzeit wurden die Riten immer komplexe wie die Kunstwerke aus dieser Zeit deutlich machen.
Es bestand sicher eine geistig-religiöse Verbindung zwischen Jägern und Beutetieren; und Geburt, Fruchtbarkeit und Tod kamen offenbar besondere Bedeutung zu. Die Fundlage spricht für zunehmende kollektive Kulte und die Idee einer menschlichen Seele. Ob bereits ein Glaube an einen Gott oder viele Götter bestand, kann nicht gesagt werden. Es ist jedoch anzunehmen, dass es in manchen Kulturen bereits religiöse Spezialisten gab, die über Kontakte zur Geisterwelt in Klarträumen oder Trance berichteten (Geisterbeschwörer) oder die scheinbar magische Fähigkeiten hatten (Zauberer)
Einige Autoren haben zwischen 1950 und 2000 im Rahmen der Schamanismus-Debatte versucht, anhand steinzeitlicher Kunstwerke einen prähistorischen Schamanismus zu postulieren. Schamanismus ist im engeren Sinn jedoch auf die traditionellen Religionen Sibiriens und des nördlichen Nordamerikas beschränkt und ist selbst dort alles andere als einheitlich.
Die archaischen Religionen dienten dazu, das Geheimnisvolle vertraut zu machen, um die Angst vor dem Unbekannten zu verringern. Dies geschah wahrscheinlich durch die Entwicklung verschiedener Rituale, deren immer gleicher Ablauf ein Gefühl der Sicherheit gab. Doch die Fragen und Unsicherheiten nahmen zu, da der Kult offenbar nicht vor allen Unbilden schützte sowie in jenen Fällen, bei denen gegen Normen verstoßen wurde: Das Unbekannte wurde unberechenbar, der Bedarf nach Deutung und konkreter spiritueller Hilfe etwa bei Naturkatastrophen, Krankheiten oder unerwarteten Veränderungen der Lebensumstände wurde geweckt.
Die Lebenswirklichkeit konkurrierte immer mehr mit dem Transzendenten und der Begriff des „Heiligen“ entstand. Folglich erfuhren Personen, die offenbar einen besonderen Zugang zur Geisterwelt hatten, immer mehr Respekt. Die Bedeutung der Religion – die noch untrennbar mit dem alltäglichen Leben verbunden war – wuchs deutlich. Dies äußerte sich auch in einer Vielzahl von Symbolen (Bilder, Gebäude, Kleidungsassessoires, sakrale Gegenstände u.ä.). Die Frage nach Ursache und Sinn dieser zweigeteilten Welt wurde jedoch noch nicht gestellt.]
Aufkommende Götterwelten
In Trockenräumen, die keine Landwirtschaft zuließen, entstanden die traditionellen Wirtschaftsformen des Hirtennomadismus.
Auch hier finden sich analoge religiöse Vorstellungen unter den verschiedenen Hirtenvölkern, die ihre oftmals streng hierarchisch aufgebauten Sozial- und Herrschaftsstrukturen untermauerten: Die regenbringenden Himmelsgötter mit klaren Abstufungen von niederen Göttern bis zu einem Hochgott an der Spitze (→ Henotheismus) waren dort wichtiger als Tierherren oder Fruchtbarkeitsgöttinnen.
In den „mythischen Religionen“ der Jungsteinzeit wurde mit großer Wahrscheinlichkeit bereits die Frage nach dem Ursprung der Welt gestellt und beantwortet.
Aus der altgriechischen Philosophie kennen wir etwa die Idee vom ewigen, ungeschaffenen „göttlichen Urgrund“ oder dem „reinen Sein“. Seit dieser Zeit wurden die Differenzen zwischen den Kulturen und Religionen der Welt immer größer.
Religion als Machtinstrument
Vor allem Klimaveränderungen und zunehmende Bevölkerungszahlen sorgten im Laufe der Frühgeschichte für die Entstehung neuer Technologien und komplexer werdender sozialer Organisation. Es entstanden die ersten erblichen Häuptlingstümer und vorstaatlichen Gesellschaften. Dazu zählen die alten Hochkulturen und die Eroberung neuer Lebensräume wie etwa der polynesischen Inselwelt. In vielen Kulturen konzentrierte sich die Macht auf eine immer kleinere herrschende Schicht, die ihre Abstammung oftmals in direkter Linie auf die Götter zurückführten (Beispiel: Polynesische Religion). Damit wurde Religion zu einer anderen Form von Herrschaft; die Theokratie entstand und Recht und Religion blieben für lange Zeit eine untrennbare Einheit.
Die Ritualkultur richtete sich in dieser Zeit vor allem an die Himmelsrichtungen und den Jahreslauf (→ Sonnwendfeier). Gottheiten werden immer häufiger durch Symbole gekennzeichnet. Trotz des Götterglaubens hatte die Magie angesichts der unbeherrschbaren Naturgewalten nach wie vor einen sehr hohen Stellenwert. Die wachsende Komplexität des Pantheons, der Gebote und Vorschriften führte zu verschiedenen Vollzeit-Spezialisten wie Priestern (Experten für das korrekte Verhalten und die richtigen Rituale), Heilern, Wahrsagern, Traumdeutern, Hexern usw.
Aus der nomadischen Lebensform im nahen Osten und deren henotheistischen Religionen (erste schriftliche Überlieferungen aus Israel) entsprang schließlich in einem Jahrhunderte währenden synkretistischen Prozess die Religionsform eines abbildlosen bzw. abbildarmen Monotheismus, der sich in Ägypten (Echnaton) angekündigt hatte und der später im Christentum und im Islam mit unterschiedlichen Ausprägungen nahezu weltweite Verbreitung erfuhr.
„Durch die ausgeprägtere Arbeitsteilung und zunehmende ökonomischer Sicherheit nahm das kollektive ‚Wir-Gefühl‘ zugunsten der Individualität ab: Wenn Einzelne gegen die herrschenden Normen verstießen, hatte das nicht mehr existentielle Folgen für die Gemeinschaft und blieb überdies häufig unbemerkt.
Auch dies dürfte sich in der Ausgestaltung der Götterwelt widergespiegelt haben: Die Götter wurden immer zahlreicher, indiviueller und unberechenbarer. Die alte Angst vor dem Unbekannten flammte erneut auf:
Der Mensch war nicht mehr allein der Beobachter, sondern er musste davon ausgehen, dass die Götter die Welt und jeden Einzelnen ebenfalls beobachteten; und zwar aus einer unergründlichen Position heraus und mit unbekannten Absichten: So wie man nie wissen kann, wie andere Menschen denken und handeln, kann man auch nicht wissen, wie ein Gott denkt und handelt. Viele Religionen betrachteten die Götter daher zunehmend als moralische Instanzen, die individuelle, genau formulierte Normen für das Verhalten des Menschen sowie Strafen erließen (die nunmehr auch erst in einer Existenz nach dem Tod einsetzen konnten). In einigen Religionen entstand durch das Gefühl des ‚Beobachtet-werdens‘ ein Bewusstsein übermächtiger Schuld (wie etwa im Judentum).“
Dogmen und heilige Schriften
In den monotheistischen Religionen galt oft Gott selbst als Autor, so dass keine Veränderungen durch Menschen stattfinden durften. Dies verlangsamte den Wandel dieser Religionen deutlich. Abweichungen und Unsicherheiten sowie umgehende Anpassungen an neue Lebensumstände – die in den Religionen der Ur- und Frühgeschichte eher die Regel waren – konnten nun anhand der Schriften belegt und eliminiert werden.
In einigen Glaubenssystemen kam es zur Formulierung religiöser Dogmen: die heiligen Texte wurden zur einzigen Wahrheit erhoben und jegliche Skepsis tabuisiert. Darin offenbarten sich zunehmend Widersprüche zu anderen philosophischen oder wissenschaftlichen Lehren, die damit automatisch als unwahr galten.
Die Religion verlor ihr weltanschauliches Alleinstellungsmerkmal. Diese „Gefahr“ wurde jedoch in der Regel dadurch gebannt, dass die regionalen Herrscher nur „ihre“ Religion als Wahrheit anerkannten. Eine Differenzierung der Religion von den anderen Lebensbereichen setzte ein und die Gläubigen wurden durch strenge ideologische Regeln und vermehrte Zugehörigkeitsrituale mehr und mehr Teil einer „Subgemeinschaft mit eigener Identität“.
In seiner geschichtsphilosophischen Betrachtung machte Karl Jaspers eine von ihm sogenannte Achsenzeit zwischen 800 und 200 v. Chr. aus, in der wesentliche geistesgeschichtliche Innovationen die Philosophie- und Religionsgeschichte Chinas, Indiens, Irans und Griechenlands prägten. Jaspers deutete diese als eine umfassende Epoche der „Vergeistigung“ des Menschen, die sich in Philosophie und Religion, sekundär auch in Recht und Technologie ausgewirkt habe. Mit dieser pluralistischen Interpretation wandte Jaspers sich vor allem gegen eine christlich motivierte Konzeption einer Universalgeschichte.
Im Gegensatz zu den Offenbarungsreligionen, die er ablehnte, konzipierte er in seinem religionsphilosophischen Werk "Der philosophische Glaube" angesichts der Offenbarung eine philosophische Annäherung an eine Transzendenz angesichts menschlicher Allmachtsvorstellungen.
Bei den schriftlich fixierten Religionen entstand im Laufe der Zeit das Problem, dass der Sinn der sprachlich „konservierten“ heiligen Schriften durch die steten Veränderungen der „fortschrittsgetriebenen Kulturen“ von den Menschen nicht mehr wie zuvor verstanden wurden (Dieses Problem existiert bei den christlichen Kirchen heute noch, da die Anpassung der Lehre an die sich verändernden gesellschaftlichen Bedingungen aufgrund der christliche Dogmatik nicht Schritt halten kann). Eine weitere Folge war das Empfinden einer zunehmenden zeitlichen Distanz, denn durch die Niederschriften entstand automatisch eine Chronologie, die die heiligen Schriften zu etwas machten, dass in der Vergangenheit lag. Dadurch fühlten sich die Gläubigen immer weiter vom seligmachenden Urgeschehen entfernt: die Wirkung der heiligen Kräfte verblasste und es keimte der zunehmende Wunsch nach Erlösung. Kanonisierung, Dogmatik und die zunehmende priesterliche Kompetenz markieren den Beginn der sogenannten Hochreligionen; die Einführung der Schrift war vielleicht keine notwendige Bedingung, zumindest jedoch ihr wichtigster Katalysator.
Neue Auslegungen der Schriften
Dies war die Geburtsstunde der verschiedenen Konfessionen, Schulen und Lehren in den Weltreligionen, die mehr oder weniger von den bestehenden Dogmen abwichen.
Der Gläubige sollte wieder Vertrauen in die Religion bekommen, indem sie durch entsprechende aktuelle Überarbeitungen wieder zu etwas Vertrautem wurde.
Dennoch blieben zum Teil paradoxe Schlüsse bestehen, die dann mit der prinzipiellen Paradoxie religiöser Erfahrungen gerechtfertigt wurden (etwa „Gottes Wege sind unergründlich“ im Christentum, „Eine Bibelstelle hat mehrere Bedeutungen“ im Judentum oder die Vielzahl der Kōans im Chan- und Zen-Buddhismus).
Diese Bestrebungen waren erfolgreich, denn bis zur frühen Neuzeit wurde die Ordnung des Lebens in den Verbreitungsgebieten der Weltreligionen wesentlich von der Religion bestimmt. Sinngebung, Rechtfertigung für jegliches Tun und die Einbindung in die religiösen Sozialstrukturen waren immer noch entscheidender als die weltliche Seite des Lebens.
Neureligiöse Strömungen
Bis dato waren diese entweder unvollständig oder wurden von der Kirche als Ketzerei bekämpft. Mehr und mehr Menschen fanden nunmehr Erklärungen und Morallehren auch außerhalb der Religion, so dass sie nur noch eine von vielen Möglichkeiten war, die Welt zu beobachten.
Diese Entwicklung führte zu einer zunehmenden Trennung von Religion und Alltag und zu einer größeren individuellen „Freiheit des Denkens“.
Zudem existiert heute neben den Kirchen und organisierten Sekten eine unüberschaubare Vielfalt an Büchern, Seminaren und Workshops zu religiösen Fragen, die als käufliche Produkte auf dem „Esoterik-Markt“ angeboten werden. Da auf jedem Markt die Nachfrage das Angebot bestimmt, gibt es auch hier zahlreiche unseriöse Angebote, bei denen etwa Fragmente aus vollkommen verschiedenen Religionen – vorwiegend solche, die ein großes Interesse der Käufer versprechen – aus ihrem Zusammenhang gerissen und zu einem angeblich „traditionellen Ganzen“ künstlich verbunden wurden.
Die europäische Expansion und die Kolonialgeschichte der letzten Jahrhunderte sowie die von neuen Kommunikationsmedien und zunehmender Mobilität begleitete Globalisierung scheint eine Krise der ethnisch-traditionellen Religionen mit sich zu bringen. Die Krise kann allerdings auch als eine „Verwandlung“ von Religion aufgefasst werden, was durch den Begriff invisible religion (unsichtbare Religion) umschrieben wird.
Seit dem Ende des Mittelalters büßten die „funktional differenzierten Religionen“ bei vielen Themen ihre Monopolstellung ein, so dass ihr Alleinstellungsmerkmal in modernen Gesellschaften im Wesentlichen nur noch das Transzendente ist. Seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts ist durch die Entstehung der verschiedensten Sekten und der Globalisierung des Wissens eine neue Konkurrenzsituation für die Weltreligionen entstanden, da nunmehr selbst für Fragen nach dem Heiligen verschiedene Ansprechpartner zur Verfügung stehen.
Entwicklung der Religionen
Die religiösen Vorstellungen schriftloser Kulturen (siehe auch Illiteralität) – häufig als Naturreligionen bzw. ethnische Religionen bezeichnet – wurden aufgrund ihrer angeblichen „Primitivität“ lange für die ältesten Formen von Religion gehalten. Aufgrund der nicht vorhandenen Dogmen und ihrer großen Anpassungsfähigkeit an veränderte Bedingungen sind sie jedoch ganz im Gegenteil sämtlich jünger als die bekannten „Hochreligionen“.
Auch sie unterliegen demnach einem historischen Wandel und werden daher heute nicht mehr im Sinne unveränderter Traditionen verstanden. Dennoch halten etliche Prähistoriker an der Auffassung fest, die Religionen der Vorzeit ließen sich aus Vergleichen mit heutigen „primitiven Religionen“ rekonstruieren. Dabei wird außer Acht gelassen, dass auch diese Glaubenssysteme irgendwann einmal einen Anfang gehabt haben müssen, der erheblich einfacher gedacht werden muss als die komplexen Weltbilder gegenwärtiger Indigener.
Allgemein wird heute eine direkte Evolution der Religionen in engem Zusammenhang mit dem Wandel der Sozialstrukturen postuliert, weil der Glaube offenbar gewisse Aspekte des Zusammenlebens positiv beeinflusst.
Konkret wird ihre Entwicklung von der Umwelt, der Bevölkerungszahl und Demographie, des Technologiestandes, der Politik und der Wirtschaft beeinflusst. Allerdings ist man sich über die konkreten Selektionsvorteile der Religionen nach wie vor uneinig. Weder die Förderung altruistischen Verhaltens noch ein konkreter Einfluss auf die Reproduktionsrate sind zweifelsfrei belegt.
Mutmaßlicher Beginn der Religiosität
- 6–2 Mio. Jahre v. Chr.: Erste Formen von ästhetischem Empfinden und Sozialverhalten, Entwicklung von Denken und Sprache, jedoch noch keine Hinweise auf Religion.
- Lebewesen wie der Homo erectus beobachten die Welt und ordnen instinktiv alles, was sie wahrnehmen, in die beiden Kategorien „bekannt“ oder „unbekannt“ ein. Sofern es ihre psychischen Fähigkeiten nicht zulassen, dies bewusst zu erkennen und darüber nachzudenken, sind sie nicht fähig zu religiösem Denken. Sie wissen nichts von ihrem Wissen und stellen keine Fragen
- Vor 300.000 Jahren: Venus von Tan-Tan, das älteste bekannte Kunstwerk der Menschheit (Homo erectus), ein religiöser Bezug ist jedoch reine Spekulation
- ab 200.000 Jahre: Erste Totenbestattungen, möglicherweise erste Todes- und Jenseitsvorstellungen, Hinweise auf Grabbeigaben und Zeremonien – Neandertaler.
Die reflektierende Wahrnehmung führte zu einer ersten Kategorisierung der Welt in zahlreiche duale Gegensätze wie Mensch/Tier, Himmel/Erde, wahr/falsch, Recht/Unrecht, u.v.m. Dabei stellte der Mensch fest, dass sich ihm manches Unbekannte erschließt, manches jedoch unerreichbar bleibt – demnach „übernatürlich“ ist.
Am Anfang der globalen Religionsentwicklung standen vermutlich einige erste Religionen in der mittleren Altsteinzeit, die sich durch spezifische Eigenschaften, darunter vor allem durch eigene Anpassungen an ihre jeweilige Umwelt auszeichneten.
Das archäologisch durch Funde (vor allem Grabstellen und Grabbeigaben) belegbare Frühstadium der Religionen deutet auf animistische Vorstellungen mit einer reichen Geisterwelt hin.
Es spricht einiges dafür, dass ein Herr oder eine Herrin der Tiere – wie noch vor kurzem bei nahezu allen Jägervölkern als Beschützer der Tierwelt und Machthaber über das Wohl und Wehe der Jäger – als erste gottähnliche Idee existierte.
Konkrete Rekonstruktionen und Übertragungen von rezenten, schriftlosen Kulturen auf die Vorgeschichte – wie etwa schamanistischer Praktiken oder religiöser Vorstellungen wie Mana (übernatürliche Kraft), Tabu (strikte ethische Verbote) und Totem (spirituelle Verwandtschaft zu Naturerscheinungen) – gelten heute jedoch als hoch spekulativ und unbeweisbar.
Als sicher gilt lediglich, dass religiöse Darstellungen altsteinzeitlicher Jäger sich trotz unterschiedlicher Umweltbedingungen ähneln. Dennoch muss man aufgrund der Isolation der weit verstreuten Menschengruppen der Vorzeit davon ausgehen, dass bereits damals eine große Zahl an religiösen Auffassungen existierte. Die Einteilung der Welt in duale Gegensätze war der erste Ansatzpunkt für die „archaische Religion“: Das Unerreichbare wurde als geheimnisvolle, zweite Realität erkannt; der Gegensatz von einem Diesseits und einem Jenseits wurde zur festen Überzeugung und zur Basis des mythischen Denkens.
Die ältesten Kulte
Ab 12.000 v. Chr.: Vor- und Frühgeschichtliche Kulte, Medizin- und Jagdzauber sowie Totenkulte als Keimzellen der Religiosität: Zunehmend differenzierte Bestattungsriten wie Gräberfelder, Totenfeuer, Schädeldeponierung und Gräber in oder unter Häusern.
Im Laufe der jüngeren Altsteinzeit und Mittelsteinzeit wurden die Riten immer komplexe wie die Kunstwerke aus dieser Zeit deutlich machen.
Es bestand sicher eine geistig-religiöse Verbindung zwischen Jägern und Beutetieren; und Geburt, Fruchtbarkeit und Tod kamen offenbar besondere Bedeutung zu. Die Fundlage spricht für zunehmende kollektive Kulte und die Idee einer menschlichen Seele. Ob bereits ein Glaube an einen Gott oder viele Götter bestand, kann nicht gesagt werden. Es ist jedoch anzunehmen, dass es in manchen Kulturen bereits religiöse Spezialisten gab, die über Kontakte zur Geisterwelt in Klarträumen oder Trance berichteten (Geisterbeschwörer) oder die scheinbar magische Fähigkeiten hatten (Zauberer)
Einige Autoren haben zwischen 1950 und 2000 im Rahmen der Schamanismus-Debatte versucht, anhand steinzeitlicher Kunstwerke einen prähistorischen Schamanismus zu postulieren. Schamanismus ist im engeren Sinn jedoch auf die traditionellen Religionen Sibiriens und des nördlichen Nordamerikas beschränkt und ist selbst dort alles andere als einheitlich.
Die archaischen Religionen dienten dazu, das Geheimnisvolle vertraut zu machen, um die Angst vor dem Unbekannten zu verringern. Dies geschah wahrscheinlich durch die Entwicklung verschiedener Rituale, deren immer gleicher Ablauf ein Gefühl der Sicherheit gab. Doch die Fragen und Unsicherheiten nahmen zu, da der Kult offenbar nicht vor allen Unbilden schützte sowie in jenen Fällen, bei denen gegen Normen verstoßen wurde: Das Unbekannte wurde unberechenbar, der Bedarf nach Deutung und konkreter spiritueller Hilfe etwa bei Naturkatastrophen, Krankheiten oder unerwarteten Veränderungen der Lebensumstände wurde geweckt.
Die Lebenswirklichkeit konkurrierte immer mehr mit dem Transzendenten und der Begriff des „Heiligen“ entstand. Folglich erfuhren Personen, die offenbar einen besonderen Zugang zur Geisterwelt hatten, immer mehr Respekt. Die Bedeutung der Religion – die noch untrennbar mit dem alltäglichen Leben verbunden war – wuchs deutlich. Dies äußerte sich auch in einer Vielzahl von Symbolen (Bilder, Gebäude, Kleidungsassessoires, sakrale Gegenstände u.ä.). Die Frage nach Ursache und Sinn dieser zweigeteilten Welt wurde jedoch noch nicht gestellt.]
Aufkommende Götterwelten
- ab 8000 v. Chr.: Trend zu figürlichen Darstellungen, mehr weibliche Figuren, die von einigen Autoren als Muttergöttinnen gedeutet werden.
- ab 5000 v. Chr.: Erste zeichnerische Darstellungen von Personen mit Symbolen, die relativ sicher als Gottheiten interpretiert werden können.
- 4700–1000 v. Chr.: Steinerne Gräber und/oder Kultstätten der besonders in Westeuropa zu findenden Megalithkultur zeigen bedeutende Totenkulte und bestimmte Jenseitsvorstellungen
- ab 4000 v. Chr.: Langsame Differenzierung der indogermanischen Opferreligionen: Slawische- (Verehrung der Naturelemente, Geister, Ahnen und Dämonen, Opferriten), keltische- (Helden, Opferkulte und Druiden), germanische (Schutzgötter, böse Riesen u. a. Wesen), baltischen- (Verehrung von Natur und Tieren, Fruchtbarkeitsriten, Muttergöttinnen) und etruskische Religion (Riten und Opfer an übermächtige Götter, Prophezeiungen).
In Trockenräumen, die keine Landwirtschaft zuließen, entstanden die traditionellen Wirtschaftsformen des Hirtennomadismus.
Auch hier finden sich analoge religiöse Vorstellungen unter den verschiedenen Hirtenvölkern, die ihre oftmals streng hierarchisch aufgebauten Sozial- und Herrschaftsstrukturen untermauerten: Die regenbringenden Himmelsgötter mit klaren Abstufungen von niederen Göttern bis zu einem Hochgott an der Spitze (→ Henotheismus) waren dort wichtiger als Tierherren oder Fruchtbarkeitsgöttinnen.
In den „mythischen Religionen“ der Jungsteinzeit wurde mit großer Wahrscheinlichkeit bereits die Frage nach dem Ursprung der Welt gestellt und beantwortet.
Aus der altgriechischen Philosophie kennen wir etwa die Idee vom ewigen, ungeschaffenen „göttlichen Urgrund“ oder dem „reinen Sein“. Seit dieser Zeit wurden die Differenzen zwischen den Kulturen und Religionen der Welt immer größer.
Religion als Machtinstrument
- ab 7000 v. Chr. Gräber und Grabbeigaben in Mehrgarh und den Zentren der Indus-Kultur lassen auf religiöse Kulte (ggf. Ahnenkult) und Mythen (ggf. Muttergöttin) schließen
- ab 3000 v. Chr. Ägyptische- und babylonische Priesterreligionen mit (vorwiegend) menschengestaltigen Göttern
- ab 2400 v. Chr. Gilgamesch-Epos, das älteste Zeugnis für die Idee der Theophanie
- ab 1600 v. Chr. Polytheismus und Königsahnenkult in der chinesischen Shang-Dynastie
- ab 1400 v. Chr. Erste Vorstufe des Monotheismus in Ägypten.
- ab 1200 v. Chr. Jüdische Stammesreligion als Vorläufer des Judentums
- ab 1000 v. Chr. Wandel des Polytheismus zum Henotheismus in der chinesischen Zhou-Dynastie
- ab 700 Etablierung des polytheistisch-animistischen Shintōismus als offizielle Religion Japans neben dem Buddhismus
Vor allem Klimaveränderungen und zunehmende Bevölkerungszahlen sorgten im Laufe der Frühgeschichte für die Entstehung neuer Technologien und komplexer werdender sozialer Organisation. Es entstanden die ersten erblichen Häuptlingstümer und vorstaatlichen Gesellschaften. Dazu zählen die alten Hochkulturen und die Eroberung neuer Lebensräume wie etwa der polynesischen Inselwelt. In vielen Kulturen konzentrierte sich die Macht auf eine immer kleinere herrschende Schicht, die ihre Abstammung oftmals in direkter Linie auf die Götter zurückführten (Beispiel: Polynesische Religion). Damit wurde Religion zu einer anderen Form von Herrschaft; die Theokratie entstand und Recht und Religion blieben für lange Zeit eine untrennbare Einheit.
Die Ritualkultur richtete sich in dieser Zeit vor allem an die Himmelsrichtungen und den Jahreslauf (→ Sonnwendfeier). Gottheiten werden immer häufiger durch Symbole gekennzeichnet. Trotz des Götterglaubens hatte die Magie angesichts der unbeherrschbaren Naturgewalten nach wie vor einen sehr hohen Stellenwert. Die wachsende Komplexität des Pantheons, der Gebote und Vorschriften führte zu verschiedenen Vollzeit-Spezialisten wie Priestern (Experten für das korrekte Verhalten und die richtigen Rituale), Heilern, Wahrsagern, Traumdeutern, Hexern usw.
Aus der nomadischen Lebensform im nahen Osten und deren henotheistischen Religionen (erste schriftliche Überlieferungen aus Israel) entsprang schließlich in einem Jahrhunderte währenden synkretistischen Prozess die Religionsform eines abbildlosen bzw. abbildarmen Monotheismus, der sich in Ägypten (Echnaton) angekündigt hatte und der später im Christentum und im Islam mit unterschiedlichen Ausprägungen nahezu weltweite Verbreitung erfuhr.
„Durch die ausgeprägtere Arbeitsteilung und zunehmende ökonomischer Sicherheit nahm das kollektive ‚Wir-Gefühl‘ zugunsten der Individualität ab: Wenn Einzelne gegen die herrschenden Normen verstießen, hatte das nicht mehr existentielle Folgen für die Gemeinschaft und blieb überdies häufig unbemerkt.
Auch dies dürfte sich in der Ausgestaltung der Götterwelt widergespiegelt haben: Die Götter wurden immer zahlreicher, indiviueller und unberechenbarer. Die alte Angst vor dem Unbekannten flammte erneut auf:
Der Mensch war nicht mehr allein der Beobachter, sondern er musste davon ausgehen, dass die Götter die Welt und jeden Einzelnen ebenfalls beobachteten; und zwar aus einer unergründlichen Position heraus und mit unbekannten Absichten: So wie man nie wissen kann, wie andere Menschen denken und handeln, kann man auch nicht wissen, wie ein Gott denkt und handelt. Viele Religionen betrachteten die Götter daher zunehmend als moralische Instanzen, die individuelle, genau formulierte Normen für das Verhalten des Menschen sowie Strafen erließen (die nunmehr auch erst in einer Existenz nach dem Tod einsetzen konnten). In einigen Religionen entstand durch das Gefühl des ‚Beobachtet-werdens‘ ein Bewusstsein übermächtiger Schuld (wie etwa im Judentum).“
Dogmen und heilige Schriften
- ab 2500 v. Chr. Die über 1.000 babylonischen Götter werden beschrieben und klassifiziert.
- ab 1200 v. Chr. Kanonisierung der Veden der ältesten Religion Indiens
- ab 1000 v. Chr. Zarathustrische Religion mit dem heiligen Buch Avesta
- ab 800 v. Chr. Wiedergeburtslehren Indiens
- um 700 v. Chr. Genaue Festschreibung von Gestalt, Wesen und Zuständigkeiten der olympischen Götter durch Homer und Hesiod
- ab 600 v. Chr. Karmalehren, Chinesischer Universismus
- ab 440 v. Chr. Verschriftlichung der jüdischen Tora
- ab 7 v. Chr. Frühes Christentum
- ab 650 Islam
In den monotheistischen Religionen galt oft Gott selbst als Autor, so dass keine Veränderungen durch Menschen stattfinden durften. Dies verlangsamte den Wandel dieser Religionen deutlich. Abweichungen und Unsicherheiten sowie umgehende Anpassungen an neue Lebensumstände – die in den Religionen der Ur- und Frühgeschichte eher die Regel waren – konnten nun anhand der Schriften belegt und eliminiert werden.
In einigen Glaubenssystemen kam es zur Formulierung religiöser Dogmen: die heiligen Texte wurden zur einzigen Wahrheit erhoben und jegliche Skepsis tabuisiert. Darin offenbarten sich zunehmend Widersprüche zu anderen philosophischen oder wissenschaftlichen Lehren, die damit automatisch als unwahr galten.
Die Religion verlor ihr weltanschauliches Alleinstellungsmerkmal. Diese „Gefahr“ wurde jedoch in der Regel dadurch gebannt, dass die regionalen Herrscher nur „ihre“ Religion als Wahrheit anerkannten. Eine Differenzierung der Religion von den anderen Lebensbereichen setzte ein und die Gläubigen wurden durch strenge ideologische Regeln und vermehrte Zugehörigkeitsrituale mehr und mehr Teil einer „Subgemeinschaft mit eigener Identität“.
In seiner geschichtsphilosophischen Betrachtung machte Karl Jaspers eine von ihm sogenannte Achsenzeit zwischen 800 und 200 v. Chr. aus, in der wesentliche geistesgeschichtliche Innovationen die Philosophie- und Religionsgeschichte Chinas, Indiens, Irans und Griechenlands prägten. Jaspers deutete diese als eine umfassende Epoche der „Vergeistigung“ des Menschen, die sich in Philosophie und Religion, sekundär auch in Recht und Technologie ausgewirkt habe. Mit dieser pluralistischen Interpretation wandte Jaspers sich vor allem gegen eine christlich motivierte Konzeption einer Universalgeschichte.
Im Gegensatz zu den Offenbarungsreligionen, die er ablehnte, konzipierte er in seinem religionsphilosophischen Werk "Der philosophische Glaube" angesichts der Offenbarung eine philosophische Annäherung an eine Transzendenz angesichts menschlicher Allmachtsvorstellungen.
Bei den schriftlich fixierten Religionen entstand im Laufe der Zeit das Problem, dass der Sinn der sprachlich „konservierten“ heiligen Schriften durch die steten Veränderungen der „fortschrittsgetriebenen Kulturen“ von den Menschen nicht mehr wie zuvor verstanden wurden (Dieses Problem existiert bei den christlichen Kirchen heute noch, da die Anpassung der Lehre an die sich verändernden gesellschaftlichen Bedingungen aufgrund der christliche Dogmatik nicht Schritt halten kann). Eine weitere Folge war das Empfinden einer zunehmenden zeitlichen Distanz, denn durch die Niederschriften entstand automatisch eine Chronologie, die die heiligen Schriften zu etwas machten, dass in der Vergangenheit lag. Dadurch fühlten sich die Gläubigen immer weiter vom seligmachenden Urgeschehen entfernt: die Wirkung der heiligen Kräfte verblasste und es keimte der zunehmende Wunsch nach Erlösung. Kanonisierung, Dogmatik und die zunehmende priesterliche Kompetenz markieren den Beginn der sogenannten Hochreligionen; die Einführung der Schrift war vielleicht keine notwendige Bedingung, zumindest jedoch ihr wichtigster Katalysator.
Neue Auslegungen der Schriften
- ab 500 v. Chr. Antiritualistische und antitheistische Reformlehre des Buddha Siddhartha Gautama
- ab 2 n. Chr. Erste Neuinterpretationen der jüdischen Tora
- 1350–1700 Renaissance-Humanismus, Reformation und Gegenreformation
Dies war die Geburtsstunde der verschiedenen Konfessionen, Schulen und Lehren in den Weltreligionen, die mehr oder weniger von den bestehenden Dogmen abwichen.
Der Gläubige sollte wieder Vertrauen in die Religion bekommen, indem sie durch entsprechende aktuelle Überarbeitungen wieder zu etwas Vertrautem wurde.
Dennoch blieben zum Teil paradoxe Schlüsse bestehen, die dann mit der prinzipiellen Paradoxie religiöser Erfahrungen gerechtfertigt wurden (etwa „Gottes Wege sind unergründlich“ im Christentum, „Eine Bibelstelle hat mehrere Bedeutungen“ im Judentum oder die Vielzahl der Kōans im Chan- und Zen-Buddhismus).
Diese Bestrebungen waren erfolgreich, denn bis zur frühen Neuzeit wurde die Ordnung des Lebens in den Verbreitungsgebieten der Weltreligionen wesentlich von der Religion bestimmt. Sinngebung, Rechtfertigung für jegliches Tun und die Einbindung in die religiösen Sozialstrukturen waren immer noch entscheidender als die weltliche Seite des Lebens.
Neureligiöse Strömungen
- 1700–1800 Christliche Religion in der Aufklärung
- ab 1800 Beginn des christlich geprägten Sektenwesens
- 1844 und 1852 Gründung des Babismus und der Bahai-Religion in Persien als ethisch-humanitäre Weltreligion, die alle anderen Religionen einbeziehen
- ab 1900 Ausweitung des Sektenwesens auf andere Glaubenssysteme
- ab 1960 „Esoterik-Markt“
Bis dato waren diese entweder unvollständig oder wurden von der Kirche als Ketzerei bekämpft. Mehr und mehr Menschen fanden nunmehr Erklärungen und Morallehren auch außerhalb der Religion, so dass sie nur noch eine von vielen Möglichkeiten war, die Welt zu beobachten.
Diese Entwicklung führte zu einer zunehmenden Trennung von Religion und Alltag und zu einer größeren individuellen „Freiheit des Denkens“.
Zudem existiert heute neben den Kirchen und organisierten Sekten eine unüberschaubare Vielfalt an Büchern, Seminaren und Workshops zu religiösen Fragen, die als käufliche Produkte auf dem „Esoterik-Markt“ angeboten werden. Da auf jedem Markt die Nachfrage das Angebot bestimmt, gibt es auch hier zahlreiche unseriöse Angebote, bei denen etwa Fragmente aus vollkommen verschiedenen Religionen – vorwiegend solche, die ein großes Interesse der Käufer versprechen – aus ihrem Zusammenhang gerissen und zu einem angeblich „traditionellen Ganzen“ künstlich verbunden wurden.
Die europäische Expansion und die Kolonialgeschichte der letzten Jahrhunderte sowie die von neuen Kommunikationsmedien und zunehmender Mobilität begleitete Globalisierung scheint eine Krise der ethnisch-traditionellen Religionen mit sich zu bringen. Die Krise kann allerdings auch als eine „Verwandlung“ von Religion aufgefasst werden, was durch den Begriff invisible religion (unsichtbare Religion) umschrieben wird.
Seit dem Ende des Mittelalters büßten die „funktional differenzierten Religionen“ bei vielen Themen ihre Monopolstellung ein, so dass ihr Alleinstellungsmerkmal in modernen Gesellschaften im Wesentlichen nur noch das Transzendente ist. Seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts ist durch die Entstehung der verschiedensten Sekten und der Globalisierung des Wissens eine neue Konkurrenzsituation für die Weltreligionen entstanden, da nunmehr selbst für Fragen nach dem Heiligen verschiedene Ansprechpartner zur Verfügung stehen.