Wenn Gott und Teufel um die Seele ringen
Verfasst: Donnerstag 30. Dezember 2021, 22:12
Psychosen und religiöser Wahn - Wenn Gott und Teufel um die Seele ringen
Im Wahn verloren, vom Glauben gehalten: Psychische Erkrankungen haben oft eine religiöse Dimension.
Psychosen gehen häufig mit religiösen Wahnvorstellungen einher. Einige Erkrankte sind davon überzeugt, selbst Jesus, Gott oder der Teufel zu sein. Letztlich gehe es dabei um existenzielle Fragen des Menschseins, erklären Therapeuten.
Das Gefühl, Gott nah zu sein
Nuißl war 19 Jahre alt, als er seine erste Psychose hatte, während eines Urlaubs in Venedig. Er war nicht besonders fromm, hatte sich aber als junger Mann mit religiösen und philosophischen Fragen auseinandergesetzt. Die Psychose, die er damals durchlebte, war durchaus religiös geprägt:
„Ich habe auch in der Rückschau immer wieder das Gefühl gehabt, dass Gott mir sehr nah gekommen ist in der Zeit, oder dass ich da irgendwie was erleben durfte, was mich da irgendwie drauf hingewiesen hat, dass es vielleicht Gott auch gibt, dass so eine Berührung stattgefunden hat.“
Wenn die Vorstellung zur Gewissheit wird
Im Wahn verschieben sich Fiktion und Realität, sagt Ronald Mundhenk. Der evangelische Theologe war drei Jahrzehnte lang Seelsorger einer psychiatrischen Klinik im Ostseebad Heiligenhafen. Bei einer Psychose oder Schizophrenie würden die Wahnvorstellungen im Kopf von Patientinnen und Patienten zur Gewissheit, erklärt Mundhenk:
„Wenn ein Patient einen Wahn ausgebildet hat, zum Beispiel in der Weise, dass er glaubt, der liebe Gott oder ähnliches zu sein, dann ist das oft mit einem starken Gewissheitsgefühl verbunden und verfestigt sich zunehmend, wird dann unter Umständen auch verteidigt gegenüber anderen, die das bestreiten wollen.“
„Ich habe auch solche Identifikationen gehabt“, sagt Klaus Nuißl, „und das ist natürlich etwas, was einem schrecklich peinlich ist, wenn man das realisiert, wenn man sich für Jesus gehalten hat.“ Der heute 40-jährige Nuißl hat mehrere psychotische Episoden erlebt:
„Ich habe auch meine Mitpatienten genervt und habe sie dann mit ‚Heiliger Reiner‘ und was weiß ich angesprochen, immer mit dem Vornamen und dann das ‚Heilig‘ davor. Ich glaube, auch für die Mitpatienten war das manchmal eine ganz schöne Qual, und da war das schon sehr religiös geprägt, was ich erlebt habe.“
„Kreuzigung“ im Krankenhausbett
Während einer dieser Erkrankungen war der Regensburger davon überzeugt, Jesus zu sein. „Ich habe zum Beispiel auf der Station mich selber freiwillig fixieren lassen“, erinnert sich Nuißl, „weil ich das Gefühl hatte, das hätte etwas mit einer Kreuzigung zu tun. Also, dass das eine Art Kreuzigung wäre in dem Moment.“
Der ehemalige Klinikseelsorger Ronald Mundhenk erklärt sich die religiösen Bezüge vieler Psychosen und Schizophrenien damit, dass Menschen in derartigen Krisen mit „Grundfragen des Daseins“ konfrontiert seien.
„Diese Grundfragen spielen in der Religion eine ganz entscheidende Rolle“, so Mundhenk, „und die werden eben von psychisch kranken Menschen, insbesondere von schizophrenen Menschen, in einer besonders intensiven Weise dann auch reflektiert.“
Wer kann mich noch retten, wenn nicht Gott?
„Das sind schon die Konflikte, die man hat, auch in Psychosen“, sagt Klaus Nuißl, „die Ängste, die Schmerzen, die man oft hat, weil das, was man erlebt, nicht mehr aushaltbar ist, sodass man sich auf seine eigene Wahrnehmung zurückzieht, ohne, dass das bewusst passiert.“
Es gehe um existenzielle Krisen, „die einen ganz stark im tiefsten Inneren berühren“, so Nuißl. „Ich glaube, diese Existenzialität macht es aus, dass man sich dann auch die großen Fragen stellt: Gibt es Gott? Gibt es jemanden, der mich rettet? Wer kann mich jetzt überhaupt noch retten aus so einer Phase? Man wendet sich schnell an eine höhere Macht, wenn man in so einem Zustand ist.“
Vom Patienten zum Therapiebegleiter.
Klaus Nuißl hat nach seiner ersten Psychose und der darauf folgenden Therapie begonnen, Psychologie zu studieren. Heute arbeitet er als Genesungsbegleiter. Als Psychiatrieerfahrener begleitet er Menschen, die psychisch erkrankt sind. Nuißl hat bei seinen psychotischen Episoden eher positive religiöse Assoziationen erlebt, doch inzwischen kennt er auch andere Fälle:
„Es gibt auch Menschen, die von Höllenquallen reden und auch immer wieder erzählen, sie hatten das Gefühl, sie müssten die Welt retten und hatten ganz starke Aufträge, die sie da gefühlt haben. Und wie dann immer wieder das auch gekippt ist und ins ganz stark negative Erleben reingerutscht ist, und die sich dann völlig überfordert, auch sehr gepeinigt gefühlt haben, mit dem, was sie erlebt haben.“
Angst, vom Teufel besessen zu sein
Auch Ronald Mundhenk kennt Fälle, in denen der Teufel im Verlauf der Psychose „zu einer unbedingten Realität“ wird. „Nicht für alle natürlich“, sagt Mundhenk. „Bei manchen spielt er gar keine Rolle. Aber dieses Wechselspiel zwischen Gott und Teufel, Himmel und Hölle ist für viele Menschen, die solche Dinge erlebt haben, dann doch ganz entscheidend wichtig. Bis hin eben zu dem Gedanken, man sei vom Teufel besessen, man sei selber der Teufel.“
Menschen mit einer religiösen Sozialisation erleben während Psychosen oder Schizophrenien eher religiöse Wahnvorstellungen als nicht-kirchlich geprägte, sagt der Erlanger Psychiater Joachim Demling. Er verweist auf eine Studie aus den 1980er-Jahren, in der entsprechende Fälle in Niederbayern und im Berliner Osten verglichen wurden.
Ursachen sind oft genetisch und psychosozial bedingt
„Da haben sich signifikante Unterschiede ergeben“, sagt Demling. „Es gab religiösen Wahn schon auch in Ost-Berlin, aber wesentlich weniger als im katholisch gefärbten Bayern. Es ist tatsächlich so, dass die kulturellen und glaubensmäßigen Bedingungen sozusagen abfärben.“
Bei Psychosen und Schizophrenien geht man von multifaktoriellen Ursachen aus: genetischen wie psychosozialen. Auch intensive religiöse Erfahrungen, wie man sie beispielsweise in charismatischen oder pfingstkirchlichen Gemeinden sammeln kann, können religiöse Wahnvorstellungen begünstigen, meint Ronald Mundhenk:
„Es gibt eben bestimmte religiöse Milieus, die Menschen vielleicht sogar stimulieren zu außergewöhnlichen religiösen Erlebnissen. Wir kennen es zum Beispiel auch aus der Mystik, dass man Gott besonders nah ist oder dass man in eine Identifikation mit Jesus hineinkommt und ähnliches, das gibt es durchaus.“
https://www.deutschlandfunkkultur.de/ps ... _id=482669
https://de.wikipedia.org/wiki/Religi%C3%B6ser_Wahn
Im Wahn verloren, vom Glauben gehalten: Psychische Erkrankungen haben oft eine religiöse Dimension.
Psychosen gehen häufig mit religiösen Wahnvorstellungen einher. Einige Erkrankte sind davon überzeugt, selbst Jesus, Gott oder der Teufel zu sein. Letztlich gehe es dabei um existenzielle Fragen des Menschseins, erklären Therapeuten.
Das Gefühl, Gott nah zu sein
Nuißl war 19 Jahre alt, als er seine erste Psychose hatte, während eines Urlaubs in Venedig. Er war nicht besonders fromm, hatte sich aber als junger Mann mit religiösen und philosophischen Fragen auseinandergesetzt. Die Psychose, die er damals durchlebte, war durchaus religiös geprägt:
„Ich habe auch in der Rückschau immer wieder das Gefühl gehabt, dass Gott mir sehr nah gekommen ist in der Zeit, oder dass ich da irgendwie was erleben durfte, was mich da irgendwie drauf hingewiesen hat, dass es vielleicht Gott auch gibt, dass so eine Berührung stattgefunden hat.“
Wenn die Vorstellung zur Gewissheit wird
Im Wahn verschieben sich Fiktion und Realität, sagt Ronald Mundhenk. Der evangelische Theologe war drei Jahrzehnte lang Seelsorger einer psychiatrischen Klinik im Ostseebad Heiligenhafen. Bei einer Psychose oder Schizophrenie würden die Wahnvorstellungen im Kopf von Patientinnen und Patienten zur Gewissheit, erklärt Mundhenk:
„Wenn ein Patient einen Wahn ausgebildet hat, zum Beispiel in der Weise, dass er glaubt, der liebe Gott oder ähnliches zu sein, dann ist das oft mit einem starken Gewissheitsgefühl verbunden und verfestigt sich zunehmend, wird dann unter Umständen auch verteidigt gegenüber anderen, die das bestreiten wollen.“
„Ich habe auch solche Identifikationen gehabt“, sagt Klaus Nuißl, „und das ist natürlich etwas, was einem schrecklich peinlich ist, wenn man das realisiert, wenn man sich für Jesus gehalten hat.“ Der heute 40-jährige Nuißl hat mehrere psychotische Episoden erlebt:
„Ich habe auch meine Mitpatienten genervt und habe sie dann mit ‚Heiliger Reiner‘ und was weiß ich angesprochen, immer mit dem Vornamen und dann das ‚Heilig‘ davor. Ich glaube, auch für die Mitpatienten war das manchmal eine ganz schöne Qual, und da war das schon sehr religiös geprägt, was ich erlebt habe.“
„Kreuzigung“ im Krankenhausbett
Während einer dieser Erkrankungen war der Regensburger davon überzeugt, Jesus zu sein. „Ich habe zum Beispiel auf der Station mich selber freiwillig fixieren lassen“, erinnert sich Nuißl, „weil ich das Gefühl hatte, das hätte etwas mit einer Kreuzigung zu tun. Also, dass das eine Art Kreuzigung wäre in dem Moment.“
Der ehemalige Klinikseelsorger Ronald Mundhenk erklärt sich die religiösen Bezüge vieler Psychosen und Schizophrenien damit, dass Menschen in derartigen Krisen mit „Grundfragen des Daseins“ konfrontiert seien.
„Diese Grundfragen spielen in der Religion eine ganz entscheidende Rolle“, so Mundhenk, „und die werden eben von psychisch kranken Menschen, insbesondere von schizophrenen Menschen, in einer besonders intensiven Weise dann auch reflektiert.“
Wer kann mich noch retten, wenn nicht Gott?
„Das sind schon die Konflikte, die man hat, auch in Psychosen“, sagt Klaus Nuißl, „die Ängste, die Schmerzen, die man oft hat, weil das, was man erlebt, nicht mehr aushaltbar ist, sodass man sich auf seine eigene Wahrnehmung zurückzieht, ohne, dass das bewusst passiert.“
Es gehe um existenzielle Krisen, „die einen ganz stark im tiefsten Inneren berühren“, so Nuißl. „Ich glaube, diese Existenzialität macht es aus, dass man sich dann auch die großen Fragen stellt: Gibt es Gott? Gibt es jemanden, der mich rettet? Wer kann mich jetzt überhaupt noch retten aus so einer Phase? Man wendet sich schnell an eine höhere Macht, wenn man in so einem Zustand ist.“
Vom Patienten zum Therapiebegleiter.
Klaus Nuißl hat nach seiner ersten Psychose und der darauf folgenden Therapie begonnen, Psychologie zu studieren. Heute arbeitet er als Genesungsbegleiter. Als Psychiatrieerfahrener begleitet er Menschen, die psychisch erkrankt sind. Nuißl hat bei seinen psychotischen Episoden eher positive religiöse Assoziationen erlebt, doch inzwischen kennt er auch andere Fälle:
„Es gibt auch Menschen, die von Höllenquallen reden und auch immer wieder erzählen, sie hatten das Gefühl, sie müssten die Welt retten und hatten ganz starke Aufträge, die sie da gefühlt haben. Und wie dann immer wieder das auch gekippt ist und ins ganz stark negative Erleben reingerutscht ist, und die sich dann völlig überfordert, auch sehr gepeinigt gefühlt haben, mit dem, was sie erlebt haben.“
Angst, vom Teufel besessen zu sein
Auch Ronald Mundhenk kennt Fälle, in denen der Teufel im Verlauf der Psychose „zu einer unbedingten Realität“ wird. „Nicht für alle natürlich“, sagt Mundhenk. „Bei manchen spielt er gar keine Rolle. Aber dieses Wechselspiel zwischen Gott und Teufel, Himmel und Hölle ist für viele Menschen, die solche Dinge erlebt haben, dann doch ganz entscheidend wichtig. Bis hin eben zu dem Gedanken, man sei vom Teufel besessen, man sei selber der Teufel.“
Menschen mit einer religiösen Sozialisation erleben während Psychosen oder Schizophrenien eher religiöse Wahnvorstellungen als nicht-kirchlich geprägte, sagt der Erlanger Psychiater Joachim Demling. Er verweist auf eine Studie aus den 1980er-Jahren, in der entsprechende Fälle in Niederbayern und im Berliner Osten verglichen wurden.
Ursachen sind oft genetisch und psychosozial bedingt
„Da haben sich signifikante Unterschiede ergeben“, sagt Demling. „Es gab religiösen Wahn schon auch in Ost-Berlin, aber wesentlich weniger als im katholisch gefärbten Bayern. Es ist tatsächlich so, dass die kulturellen und glaubensmäßigen Bedingungen sozusagen abfärben.“
Bei Psychosen und Schizophrenien geht man von multifaktoriellen Ursachen aus: genetischen wie psychosozialen. Auch intensive religiöse Erfahrungen, wie man sie beispielsweise in charismatischen oder pfingstkirchlichen Gemeinden sammeln kann, können religiöse Wahnvorstellungen begünstigen, meint Ronald Mundhenk:
„Es gibt eben bestimmte religiöse Milieus, die Menschen vielleicht sogar stimulieren zu außergewöhnlichen religiösen Erlebnissen. Wir kennen es zum Beispiel auch aus der Mystik, dass man Gott besonders nah ist oder dass man in eine Identifikation mit Jesus hineinkommt und ähnliches, das gibt es durchaus.“
https://www.deutschlandfunkkultur.de/ps ... _id=482669
https://de.wikipedia.org/wiki/Religi%C3%B6ser_Wahn