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Re: „Rom“ lässt sich nicht kaufen

Verfasst: Samstag 16. Juli 2016, 11:06
von Christel
Ergänzung noch zu „Merkwürdigkeit“ 1:

Einleitungswissenschaft: Udo Schnelle schreibt in „Einleitung in das Neue Testament“ 6.Auflage, 2007, Seite 111 „ Die paulinische Verfasserschaft des Gal ist heute unbestritten.“ Er datiert den Brief auf das Frühjahr 55.

In diesem Brief beschreibt Paulus selbst seinen Werdegang nach seiner Bekehrung zu Christus so:
"ich ging auch nicht sogleich nach Jerusalem hinauf zu denen, die vor mir Apostel waren, sondern zog nach Arabien und kehrte dann wieder nach Damaskus zurück. Drei Jahre später ging ich nach Jerusalem hinauf, um Kephas kennen zu lernen, und blieb fünfzehn Tage bei ihm. Von den anderen Aposteln habe ich keinen gesehen, nur Jakobus, den Bruder des Herrn. Was ich euch hier schreibe - Gott weiß, dass ich nicht lüge. Danach ging ich in das Gebiet von Syrien und Zilizien." …

"Vierzehn Jahre später ging ich wieder nach Jerusalem hinauf, zusammen mit Barnabas; ich nahm auch Titus mit. Ich ging hinauf aufgrund einer Offenbarung, legte der Gemeinde und im besonderen den «Angesehenen» das Evangelium vor, das ich unter den Heiden verkündige; ich wollte sicher sein, dass ich nicht vergeblich laufe oder gelaufen bin. Doch nicht einmal mein Begleiter Titus, der Grieche ist, wurde gezwungen, sich beschneiden zu lassen." (Gal 1,17-2,2)
Weshalb schreibt Paulus dies den Galatern?

Genau wie damals in Antiochien waren Judenchristen gekommen und forderten die Heidenchristen müssten sich beschneiden lassen und dem jüdischen Gesetz unterstellen.

Ohne jüdische Wurzeln, bei einem heidnischen Mysterienkult, wäre es nie zu solchen Konflikten gekommen. Es macht auch keinen Sinn so etwas im 2. Jahrhundert zu erfinden. Es widerspricht außerdem den Ergebnissen der Forschung.

Fazit: Die Behauptung in „Merkwürdigkeit“ 1 stimmt nicht. Deutlich treten die“ jüdischen Wurzeln“ im Galaterbrief und überhaupt bei Paulus zu Tage.

Aber auch später wurden sie nicht ausgeblendet: Die Forschung datiert die Evangelien später als die Paulusbriefe. Sie bezeugen somit den christlichen Glauben, wie er nach Paulus existierte.

In ihnen wird die Geschichte des Juden Jesus erzählt, die sich komplett im Gebiet des „alten Israel“ abspielt, eine Geschichte innerhalb des Judentums. Hier spielen Tempel, Gesetz, jüdische Gruppen eine wichtige Rolle. Jesu Mission wird zunächst auf das Judentum begrenzt…

Zeitlich verortet werden die Texte im 1. Jahrhundert.
Nach Jesu Kreuzigung im Jahr 30 entstanden die christlichen Gemeinden. Mindestens 30 Jahrelang (also mindestens bis 60) konnte man die befragen, die Jesus noch persönlich kannten. Danach gab es genügend Menschen, die es aus erster Hand erfahren hatten, die mit den Jüngern gesprochen hatten …

Im 1. Jahrhundert war somit eine komplette Verfälschung nicht möglich.
Im 2. Jahrhundert macht es innerhalb eines heidnischen Mysterienkults keinen Sinn solche jüdischen Wurzeln zu erfinden.

Außerdem, wie gesagt, für das 1. Jahrhundert sind christliche Gemeinden nebst ihren jüdischen Verbindungen zweifelsfrei nachweisbar.
Im Jahr 49 waren sie für Kaiser Claudius von den Juden noch nicht zu unterscheiden. Im Jahr 64 konnte dies dann Kaiser Nero, auch wenn er sie als jüdische Sekte ansah.
Die Christen sahen sich anfangs als jüdische Erneuerungsbewegung und wurden auch von den Römern jahrzehntelang als jüdische Sekte aufgefasst. https://de.wikipedia.org/wiki/Christenv ... chen_Reich

Re: „Rom“ lässt sich nicht kaufen

Verfasst: Sonntag 17. Juli 2016, 22:44
von Christel
Zur „Merkwürdigkeit“ 2:
Siehe von Atheisius » Donnerstag 14. Juli 2016, 08:17 - viewtopic.php?f=10&t=4379&sid=d638ffd00 ... a48#p15414)

Auch dies ist eine Behauptung! Doch stimmt das überhaupt?

Grundsätzliches:
Die christliche Mission erfolgte nicht schriftlich sondern mündlich, auch die von Paulus.
Wir können daher nicht wissen, was Paulus alles mitgeteilt hat.
Erhalten geblieben sind lediglich Anlassschreiben.

Ist, wie behauptet wird, von der „Faszination“ für Jesus Christus bei Paulus wenig zu spüren?

Ich bleibe beim Brief an die Galater. Hier schreibt Paulus:
"Ich aber bin durch das Gesetz dem Gesetz gestorben, damit ich für Gott lebe. Ich bin mit Christus gekreuzigt worden; nicht mehr ich lebe, sondern Christus lebt in mir. Soweit ich aber jetzt noch in dieser Welt lebe, lebe ich im Glauben an den Sohn Gottes, der mich geliebt und sich für mich hingegeben hat." (Gal 2,19f.)
Ist das keine Faszination?

Im Brief an die Philipper schreibt Paulus:
(Einleitungswissenschaft: Udo Schnelle schreibt in „Einleitung in das Neue Testament“ 6.Auflage, 2007, Seite 153 „Die paulinische Verfasserschaft des Phil ist in der heutigen Exegese unbestritten.“ Er datiert den Brief „wahrscheinlich in Rom um 60“.)
"Ich wurde am achten Tag beschnitten, bin aus dem Volk Israel, vom Stamm Benjamin, ein Hebräer von Hebräern, lebte als Pharisäer nach dem Gesetz, verfolgte voll Eifer die Kirche und war untadelig in der Gerechtigkeit, wie sie das Gesetz vorschreibt. Doch was mir damals ein Gewinn war, das habe ich um Christi Willen als Verlust erkannt.

Ja noch mehr: ich sehe alles als Verlust an, weil die Erkenntnis Christi Jesu, meines Herrn, alles übertrifft. Seinetwegen habe ich alles aufgegeben und halte es für Unrat, um Christus zu gewinnen und in ihm zu sein." (Phil 3,8f.)
Ist das keine Faszination?

Ich sehe in allen Briefen, ja im ganzen Leben des Paulus, Faszination für Christus!

Weiter schreibt Paulus:
"Nicht meine eigene Gerechtigkeit suche ich, die aus dem Gesetz hervorgeht, sondern jene, die durch den Glauben an Christus kommt, die Gerechtigkeit, die Gott aufgrund des Glaubens schenkt." (Phil 3,9)
Ich erinnere:
Jesu predigte das „Reich Gottes, die Gottesherrschaft, nicht die Gesetzesherrschaft. Er forderte eine größere Gerechtigkeit als Gesetze und Regeln es hergeben. Gleichzeitig war er so integrierend, dass er gerade die erreichte, die bei den Anforderungen des Gesetzes nicht mithalten konnten.
„Da sagte Jesus zu ihnen: Amen, das sage ich euch: Zöllner und Dirnen gelangen eher in das Reich Gottes als ihr.“ Matthäus 21,31
Das erzeugte Unmut bei den Gesetzestreuen.

Ich erinnere auch an Martin Luther:
Neben dem solus Christus („allein Christus“) stehen in den reformatorischen Kirchen die Prinzipien sola scriptura (lat. „allein durch die Schrift“), sola fide (lat. „allein durch Glauben“) und sola gratia (lat. „allein aus Gnade“).

Offensichtlich war im 16. Jahhrundert auch Martin Luther fasziniert.

Und ich erinnere an die „GEMEINSAME ERKLÄRUNGZUR RECHTFERTIGUNGSLEHRE des Lutherischen Weltbundes und der Katholischen Kirche“ http://www.vatican.va/roman_curia/ponti ... on_ge.html

Re: „Rom“ lässt sich nicht kaufen

Verfasst: Donnerstag 21. Juli 2016, 23:19
von Christel
Zur 3. „Merkwürdigkeit“:
Siehe von Atheisius » Donnerstag 14. Juli 2016, 08:17 –
Merkwürdig ist, dass die Weitergabe der Erinnerung an den „Meister“ trotz des „religiös kompetenten Kreises von Anhängerinnen und Anhängern“ so schlecht funktionierte, dass die Evangelisten rund ein halbes Jahrhundert später nicht mehr in der Lage waren, ein stimmiges Bild des Menschen Jesus zu zeichnen, sondern sich statt dessen mit allerlei „Gemeindebildungen“, das heißt, mit Mythen und Legenden, behelfen mussten, die sie sich als Anleihen aus ihrer Umwelt beschafften. viewtopic.php?f=10&t=4379&sid=d638ffd00 ... a48#p15414)
Bevor ich darauf eingehe, lade ich zu einem Experiment ein:
Beschreibe ein Erlebnis in der eine andere Person eine wichtige Rolle spielte. Was war geschehen? Wie lief es ab? Ordne das Geschehen zeitlich und lokal ein und beschreibe die Person. Wer war sie? Wie war sie? Charakterisiere diese Person, so dass sich auch ein Außenstehender ein gutes Bild von ihr machen kann. Welche Schlüsse hast Du daraus gezogen?

Bitte andere, die auch dabei waren, um dasselbe aus ihrer Sicht!

Wetten, dass Ihr kein völlig stimmiges Bild hinbekommt?

Nun lasse die Texte, von jemand, der die Geschichte nicht erlebt hat, kritisch auf das reale Geschehen hin überprüfen.
Was glaubst Du, wird von Euren Erzählungen übrigbleiben?
Wird es mehr sein, als ein paar widersprüchliche Fakten?
Charakterisieren Eure Beschreibungen wirklich eine reale Person? Ist sie nicht vielmehr fiktiv, Projektionen, Anleihen aus Eurer Umwelt, zudem "Bilder" statt klare Beschränkung auf Fakten, eben „Gemeindebildung“, Legende…?

Wieso konntet Ihr Euch nicht widerspruchsfrei erinnern? Weshalb habt ihr kein stimmiges Bild hinbekommen?

Vielleicht, weil unterschiedliche Personen dasselbe Gesehen, dieselbe Person von Anfang an unterschiedlich wahrnehmen? Weil sie unterschiedliche Schlüsse ziehen? Weil zudem fotografische Gedächtnisse selten sind und unser Erinnern mehr emotional als formal abläuft? Weil historische Fakten, Abläufe ... nur unzureichend charakterisieren?

So ist das Leben!

Um das Jahr 140 bot Markion, Schiffsreeder von Beruf, der Gemeinde von Rom an „ein stimmiges Bild von Jesus" zu zeichnen. Dazu verwarf er die damals bereits etablierte Schriften, auch das Alte Testament und lies nur einige "gereinigte" Paulusbriefe und ein „gereinigtes“ Lukasevangelium gelten. Die Gemeinde von Rom warf Markion raus! Er zeichnete sein Jesusbild dann außerhalb der Katholischen Kirche. (Siehe dazu der Eingangsbeitrag zu diesem Thema viewtopic.php?f=10&t=4379)

Re: „Rom“ lässt sich nicht kaufen

Verfasst: Dienstag 26. Juli 2016, 19:37
von Christel
Zur 4. „Merkwürdigkeit“:
Siehe von Atheisius » Donnerstag 14. Juli 2016, 08:17 –
Merkwürdig ist, dass die angebliche ungeheure Wirkung des apokalyptischen Predigers und Wunderheilers, der in Galiläa und Palästina große Menschenmassen in Bewegung gesetzt haben soll, so schnell verpufft war, dass es schon wenige Jahrzehnte nach Tod und Auferstehung niemand mehr gab, der sich noch recht auf ihn besinnen konnte. Denn statt der Erinnerung an den Menschen verkündet Paulus einen metaphysisch überhöhten Gottessohn; statt der Erinnerung an den Menschen bedienen sich die Verfasser der Evangelien bei der Darstellung des Lebens Jesu mythologischer Anleihen in einem solchen Umfang, dass es noch nicht einmal mit Hilfe moderner Methoden gelungen ist, das vermeintlich ursprüngliche und historische Bild des Mannes aus Nazareth aus dem mythologischen Geröll zu befreien.
viewtopic.php?f=10&t=4379&sid=d638ffd00 ... a48#p15414)
Dieser Text enthält einige Behauptungen, die nicht stimmen:
Was soll ein „überhöhten Gottessohn“ sein, wieso „Geröll“, wieso „wenige Jahrzehnte“, „wieso große Menschenmassen“, Wieso sollte sich kurze Zeit später niemand mehr auf Jesus besinnen gekonnt haben?

Ich konzentriere mich auf das Wesentliche:

Im Grunde wird behauptet, das Zeugnis des Neuen Testamentes über Jesus müsste in Inhalt und Form anders aussehen, wenn es auf Erinnerung basieren würde. Mehr noch, es wird ein Gegensatz zwischen einer möglichen Erinnerung und dem neutestamentlichen Zeugnis konstruiert.

Die Behauptungen von "Merkwürdigkeit" 4 sind weder begründet, noch sind sie mit Argumenten belegt.

Schauen wir auf den Stand der historisch-kritischen Forschung, dann ist die Behauptung sowieso absurd. Wir haben Texte, die vom Glauben der ersten Christen an Jesus Zeugnis ablegen. Die ältesten Texte davon wurden 20 Jahre nach der Kreuzigung verfasst. Sie erzählen nicht nur von Jesus, dort erfahren wir auch etwas über das Verhältnis zwischen denen die Jesus persönlich kannten, die von Anfang an mit ihm unterwegs waren und von Paulus.

Es gab Kontakte mit Paulus, auch Konflikte. Dabei ging es jedoch um die Stellung des jüdischen Gesetzes und um den Umgang mit den Heidenchristen. Hingegen ist zwischen ihnen kein Konflikt über die Person Jesus überliefert.
Es gab vor Paulus Christen. Paulus schreibt, dass er dies von ihnen übernommen hat:
Christel hat geschrieben:Ob nun ich verkündige oder die anderen: das ist unsere Botschaft, und das ist der Glaube, den ihr angenommen habt.“
„Denn vor allem habe ich euch überliefert, was auch ich empfangen habe:“
„Durch dieses Evangelium werdet ihr gerettet, wenn ihr an dem Wortlaut festhaltet“
Christus ist für unsere Sünden gestorben, /
gemäß der Schrift,
und ist begraben worden. /
Er ist am dritten Tag auferweckt worden, /
gemäß der Schrift,
und erschien dem Kephas, dann den Zwölf.
Vergleiche „Bibel, Neues Testament, 1. Korinther 15“
viewtopic.php?f=10&t=4384&sid=d84dc538d ... 685#p15393

„Denn vor allem habe ich euch überliefert, was auch ich empfangen habe“ dürfte auch für diesen Christushymnus in Phil 2,5-11 gelten:
Seid untereinander so gesinnt, wie es dem Leben in Christus Jesus entspricht:
6 Er war Gott gleich, /
hielt aber nicht daran fest, wie Gott zu sein,

7 sondern er entäußerte sich /
und wurde wie ein Sklave /
und den Menschen gleich. /
Sein Leben war das eines Menschen;
8 er erniedrigte sich /
und war gehorsam bis zum Tod, /
bis zum Tod am Kreuz.
9 Darum hat ihn Gott über alle erhöht /
und ihm den Namen verliehen, /
der größer ist als alle Namen,
10 damit alle im Himmel, auf der Erde und unter der Erde /
ihre Knie beugen vor dem Namen Jesu
11 und jeder Mund bekennt: /
„Jesus Christus ist der Herr“ - /
zur Ehre Gottes, des Vaters.
„Paulus greift hier einen Hymnus auf, in dem der Weg Christi von seinem vorzeitlichen Sein über seine Menschwerdung und seinen Tod bis zur Erhöhung und Einsetzung zum Herrscher des Alls beschrieben wird. Der im Lied betonte Gehorsam Jesu wird der Gemeinde als Vorbild gegenseitigen Dienens vor Augen gestellt.“ Kleiner Stuttgarter Kommentar zum Neuen Testament
Bei Phil 2,5-11 handelt es sich vermutlich um einen vorpaulinischen liturgischen Text, den Paulus zitiert mit der einleitenden Mahnung, die eigene Gesinnung dem Weg Jesu anzugleichen. Zentrales Thema des Hymnus ist die Inkarnation des präexistenten Christus sowie sein Leiden, sein Tod – die Erwähnung des Kreuzes ist vermutlich eine verstärkende Einfügung des Paulus – und schließlich seine Erhöhung durch Gott und die Verleihung des „Namens über alle Namen“. Dabei wird die Erhöhung mit der Erniedrigung kausal verknüpft (διὸ „darum“). Auffällig ist, dass das für Paulus sonst zentrale Auferstehungsmoment nicht explizit erwähnt wird.

Der Hymnus vereint sowohl hellenistische als auch jüdische Vorstellungen. Der Parallelismus des Aufbaus des Hymnus ähnelt der Grundstruktur einiger Psalmen, während die Erwähnung von über- und unterirdischen Mächten, deren Sklave der Mensch ist und die ihrerseits vor Christus die Knie beugen, stark an eine hellenistisch geprägte Weltanschauung erinnert.
https://de.wikipedia.org/wiki/Philipperhymnus
Übrigens Paulus wurde ungefähr 3 Jahre nach Jesu Tod und Auferstehung selbst Christ. Paulus sagt, er hat seinen Glauben an Jesus Christus von den Christen übernommen.

Re: „Rom“ lässt sich nicht kaufen

Verfasst: Sonntag 31. Juli 2016, 21:57
von Christel
Weiter zum Beitrag von Atheisius » Do 14 Jul, 2016 7:17
viewtopic.php?f=10&t=4379&sid=73cc92758 ... 5c4#p15414
Atheisius hat geschrieben:Du hast es oben schon erwähnt:

In alle frühen christlichen Zeugnissen, ob Paulusbriefe oder Evangelien, lassen sich jüdische und hellenistische Elemente (Siehe oben erwähnte These Nr. 3) nicht voneinander trennen. Bei den angeblich rein innerjüdischen Ursprüngen des Christentums handelt es sich um eine Mär, die nicht durch Quellen belegt wird und nur mit Phantasie in die Texte hineingelesen werden kann. Alles Christliche ist von Anfang an immer auch umgeben und durchdrungen vom hellenistischen Geist des Apostels Paulus. Deswegen gilt Paulus als Begründer (Erfinder) des Christentums.

Ja, ich bin bereits auf den ersten Satz diese These eingegangen. Siehe:
Beitrag von Christel » Donnerstag 14. Juli 2016, 00:25
viewtopic.php?f=10&t=4379&sid=7c45585f8 ... 9f7#p15413
Überblick: Hellenismus

Die Epoche des Hellenismus zeichnet sich besonders durch die enorme Expansion der griechischen Kultur aus. Das wohl wichtigste Ereignis in diesem Zusammenhang war die Eroberung des persischen Weltreichs unter Alexander dem Großen. Der Beginn dieser Epoche wird mit dem Regierungsantritt (336 vor Christus) dieses außergewöhnlichen Herrschers gleichgesetzt. Der Abschluss des Hellenismus lässt sich nicht so einfach festlegen. Das politische Ende kann man mit der Eingliederung des letzten hellenischen Reiches (30 vor Christus) in das römische Imperium veranschlagen. Doch kulturell wirkte diese Epoche noch sehr weit in die römische Kaiserzeit hinein. http://www.histokomp.de/kompendium/alte ... llenismus/
Seit 597 vor Christus leben Juden in der Zerstreuung (Diaspora) außerhalb von Israel.
Lange vor Jesu versammelte sie sich in Synagogen zum Gebet, in und außerhalb von Israel. Es gab jedoch nur einen Tempel für das Opfer und zwar in Jerusalem in Judäa. Der Tempel war das kultische Zentrum aller Juden.
Für den Juden in der Diaspora stellte die Tempelsteuer die wichtigste Möglichkeit dar, seine Identität und Zugehörigkeit zum Judentum sowie seine Unterstützung des Judentums auszudrücken.[3]
Die Tempelsteuer diente zum Unterhalt des öffentlichen Kultes am Jerusalemer Tempel.[1] Sie wurde in der Diaspora zu verschiedenen Zeiten gesammelt und dann i.d.R. einmal jährlich an den Tempel in Jerusalem geschickt. https://de.wikipedia.org/wiki/Tempelsteuer
Die Epoche des Hellenismus ist vor Christus anzusetzen.
Sie machte auch vor dem Judentum nicht halt. Das Judentum wurde vom Hellenismus beeinflusst. Damit meine ich nicht nur das Diaspora Judentum, nicht nur die Septuaginta, sondern überhaupt das Judentum und die „hebräische Bibel“. Auch das Judentum musste sich selbstverständlich mit anderen Kulturen auseinander setzen.

Da bereits das Judentum vom Hellenismus beeinflusst und zudem integraler Bestandteil des Römischen Reiches war, kann nicht aufgrund von hellenistischen Elementen auf andere Ursprünge des Christentums geschlossen werden!


Zudem breitete sich das Christentum über die Synagogen im römischen Reich aus. In den Synagogen versammelten sich nicht nur Juden, sondern auch „Gottesfürchtige“. Das waren Menschen, die den Juden nahestanden und die Synagogen auch finanziell unterstützten, die aber der heidnischen Kultur… entstammten. Auch an diese richtete sich die christliche Mission und gerade bei ihnen war sie erfolgreich. Sie waren Adressaten der Botschaft nicht Ursprung.

Ein erfolgreicher Missionar war hierbei Paulus von Tarsus. Als griechisch gebildeter Jude und ausgebildeter Pharisäer kannte er beide Kulturen. https://de.wikipedia.org/wiki/Paulus_von_Tarsus

Das Christentum breitete sich, wie bereits mehrfach gesagt, vor und auch unabhängig von Paulus aus.

Zudem, und dies ist mir völlig unbegreiflich, wie können einem Leser des Neuen Testamentes die rein innerjüdischen Ursprünge entgehen?

- Die zentrale Figur ist der Jude Jesus.
- Die Ereignisse trugen sich in den drei Provinzen Judäa, Samaria und Galiläa zu, in der Israel zu dieser Zeit aufgeteilt war.
- Das Neue Testament nimmt laufend auf den Tanach („die jüdische Bibel“) Bezug.
- Das Christentum hat alle Bücher des Tanach übernommen und in etwas anderer Anordnung als sein Altes Testament kanonisiert. https://de.wikipedia.org/wiki/Tanach
- Ausgangspunkt der christlichen Mission war der Jüngerkreis Jesu in Jerusalem.
- Die Ausbreitung erfolgte anfangs über die Synagogen.
- Judentum und Christentum waren zunächst nicht zu unterscheiden, später galten die Christen lange Zeit als jüdische Sekte.

1938 erklärte Pius XI. (1922-1939) vor Pilgern aus Belgien: „Geistlich sind wir alle Semiten“
So ist es!

Re: „Rom“ lässt sich nicht kaufen

Verfasst: Montag 1. August 2016, 20:13
von Christel
Als Vertiefung empfehle ich zwei Bücher des Althistorikers Manfred Clauss. https://de.wikipedia.org/wiki/Manfred_Clauss

1) Das alte Israel : Geschichte, Gesellschaft, Kultur, 4., aktualisierte Auflage, 2014
9783406445736
Manfred Clauss' knappe und kundige Geschichte des alten Israel beginnt mit den ersten Überlieferungen der Frühzeit und den ältesten Anfängen der Staaten Juda und Israel. Über die Zeit der Propheten, die babylonische Gefangenschaft und den Makkabäeraufstand führt sie in die Zeit des Herodes und endet schließlich mit der Einnahme Jerusalems durch die Römer und der Zerstörung des Zweiten Tempels. Der Autor portraitiert die wichtigsten Persönlichkeiten des alten Israel und bietet eine Einführung in die Grundstrukturen von Politik, Gesellschaft, Wirtschaft und Religion.
https://www.buchhandel.de/buch/Das-alte ... 3406445736
Hier zum Reinlesen: https://books.google.de/books/about/Das ... w3fRE8DYwC
Kapitel „12. Die Juden im Hellenismus“
https://books.google.de/books?id=Jsw3fR ... &q&f=false

Er schreibt dort u.a. auf Seite 91, dass sich Jahrhunderte lang griechische Einflüsse im Nahen Osten ausmachen lassen. Mit der Eroberung durch Alexander des Großen änderte sich nur die Intensität des Einflusses.

In dieser Zeit wurde auch die „hebräisch-aramäischen Bibel“ in die altgriechische Alltagssprache übersetzt. Vergleiche hierzu „Septuaginta“ https://de.wikipedia.org/wiki/Septuaginta

Bezüglich des hellenistischen Einflusses auf das Christentum empfehle ich vom selben Verfasser:
2) Ein neuer Gott für die alte Welt : Die Geschichte des frühen Christentums
, 2015
9783871347948
Als vor Jerusalem ein Wanderprediger am Kreuz starb, ahnte niemand, dass damit ein neues Zeitalter anbrach. Vier Jahrhunderte später wurde das christliche Bekenntnis zur römischen Staatsreligion. Manfred Clauss erzählt die aufregende Geschichte dieses frühen Christentums – von den versprengten Urgemeinden bis ins 6. Jahrhundert – und entwirft ein überraschendes, archaisch-schillerndes Panorama: Da wird aus heidnischen Sonnwendfeiern das Weihnachtsfest, Märtyrer sehnen sich nach dem Tod, ein neues, prägendes Lebensideal der Askese bildet sich heraus. Streiter für ihre Kirche wie Paulus und Augustinus propagieren ihre Lehre, schreiben gegen falsche Propheten an – und Gruppierungen wie Arianer und Doketisten bekämpfen sich bis aufs Blut. Denn es war nicht nur die Liebesbotschaft des Evangeliums, die den Erfolg brachte: Das Christentum, wie wir es heute kennen, ist nicht zuletzt das Ergebnis von Eifer, Gewalt und politischem Kalkül. Manfred Clauss zeichnet ebenso mitreißend wie gelehrt ein neues Bild unserer abendländisch-christlichen Anfänge. Die Wiederentdeckung eines verschütteten Ursprungs, der uns heute in vielem fremd ist – und doch die wechselvolle Geschichte der letzten zweitausend Jahre in Europa geprägt hat.
https://www.buchhandel.de/buch/Ein-neue ... 3871347948
Auf Seite 65 schreibt hier Manfred Clauss:
„Am Anfang des Christentums stand die Hinrichtung des Juden Jesus, der sich selbst und den seine Jünger als den Messias, als Christus, betrachteten.“

Übrigens, es gab bereits im damaligen Judentum die Vorstellung von Gottessöhnen (vgl. Jjob 1,6 „Nun geschah es eines Tages, da kamen die Gottessöhne, um vor den Herrn hinzutreten“)
Die Bezeichnung Jesus Christus lag in der Luft, denn der König ist der „Gesalbte des Herrn“ 1 Sam 24,7 – „Jesus Christus“ bedeutet Jesus, der Gesalbte) https://de.wikipedia.org/wiki/Jesus_Christus
Die Messias Erwartung war in dieser Zeit ohnehin groß.

Und wie gesagt, es gab ein vorpaulinisches Christentum (Paulus war zuerst ein Gegner der Christen), es gab ein Christentum und christliche Mission unabhängig von Paulus (Claudius Edikt im Jahr 49, Vertreibung der Juden aus Rom, da sie gestritten hatten über einen gewissen „Chrestus“) und es gab eine Mission mit Paulus (Barnabas holte Paulus nach Antiochia https://de.wikipedia.org/wiki/Barnabas_(Apostel)

Hellenen waren zunächst Adressaten der christlichen Botschaft. Jeder, der einem anderen eine Botschaft überbringen will, ist gut beraten, wenn er sich verständlich ausdrückt und die „Sprache“ der Empfänger benutzt.
Nachdem die Hellenen Christen geworden waren, drückten sie selbstverständlich ihren Glauben an Jesus Christus in der ihnen gewohnten Sprache und Form aus.

Einen anderen, als den gesetzten jüdischen Ursprung lässt sich nicht ausmachen, völlig egal in wie viele Sprachen und Formen dieselbe Botschaft übersetzt wird.

Eine solche Übersetzungsarbeit in die jeweiligen Sprache, Form, Kultur und Zeit ist bleibende Aufgabe jeder Theologie. Eine Aufgabe, die als Dienst an der Gemeinde verstanden werden muss.

Re: „Rom“ lässt sich nicht kaufen

Verfasst: Mittwoch 3. August 2016, 20:46
von Christel
Nachdem ich auf die Argumente, die Atheisius in seinem Beitrag vom » Do 14 Jul, 2016 7:17 nannte, eingegangen bin, komme ich zu dem Rest. In demselben Beitrag schrieb er fett:
Atheisius hat geschrieben:Für ihre Lieblingsidee sind heute Theologen bereit, geschichtliche Zusammenhänge zu konstruieren statt zu rekonstruieren. Ihre Schilderung des Übergangs „von der palästinensischen Jesusbewegung zur weltweiten urchristlichen Missionsbewegung“ bzw. zur „hellenistischen Kultbewegung“ ist historisch nicht nachvollziehbar. viewtopic.php?f=10&t=4379&sid=a77361fc6 ... 893#p15414
Das ist lediglich eine Behauptung! Sie ist nicht mit Argumenten unterlegt. Sie ist pauschal. Welche Theologen? Was soll konstruiert sein? …
Ich habe recherchiert und wurde bei Hermann Detering fündig:
Für ihre Lieblingsidee sind Theißen/Merz bereit, geschichtliche Zusammenhänge zu konstruieren statt zu rekonstruieren. Ihre Schilderung des Übergangs „von der palästinensischen Jesusbewegung zur weltweiten urchristlichen Missionsbewegung“ bzw. zur „hellenistischen Kultbewegung“ ist historisch nicht nachvollziehbar. http://www.book.xlibx.info/bo-history/3 ... che-je.php
Aus: «„EINE ART METAMORPHOSE DES MENSCHLICHEN” „Der Historische Jesu“ von Gerd Theißen und Annette Merz Von Hermann Detering, Berlin 2010 1 Seit ...»

Hier wird die Behauptung konkret. Sie stammt von dem evangelischen Theologen „Hermann Detering, bekannt durch seine „Radikalkritik. Was er behauptet, trifft auf ihn selbst zu: Seine Thesen sind konstruiert und historisch nicht nachvollziehbar.
Die „wichtigsten Grundthesen der Radikalkritik des promovierten evangelischen Theologen lauten:

Es gibt keine Nachrichten über Jesus und das frühe Christentum aus dem ersten Jahrhundert. Die Evangelien und auch die Paulusbriefe sind erst im zweiten Jahrhundert verfasst worden.“ http://www.freidenker.at/index.php/blog ... ritik.html

Dass diese Thesen von Hermann Deterding nicht stimmen, lässt sich u.a. hier im Thema nachvollziehen: viewtopic.php?f=10&t=4379&sid=a77361fc6 ... 893#p15368

Wie man hier im Forum sehen kann, gibt es Atheisten, die solche Thesen trotzdem begierig aufgreifen.

Der Atheist und Althistoriker Dr. Ronald Bilik gehört nicht dazu. Er schreibt:
Warum habe ich die Theorie von Hermann Detering nicht mit offenen Armen aufgenommen, obwohl man damit das Christentum und die gesamte Theologie ad absurdum führen könnte?
Als Freidenker vertrete ich eine evidenzbasierte Wissenschaft. Und diese Evidenz spricht eindeutig für die historische Existenz von Jesus und gegen die Theorie von Detering.

Die Situation des Christentums im zweiten Jahrhundert war folgende: Die Christen waren eine von Rom verfolgte Minderheit. Die frühchristlichen Schriften strotzen vor antijüdischen Exzessen. Aus welchem Grund sollten die Christen einen Jesus konstruieren, der ein jüdischer Wanderprediger war, seine Mission nur auf Juden beschränkte, seine Anhänger aus dem antirömischen Widerstand rekrutierte (Simon, Judas, Petrus) und von den Römern wegen seines Messiasanspruches und daher wegen Hochverrates zum schändlichen Tod am Kreuz verurteilt wurde? Kurz gesagt, eine derartige Theorie lässt sich Punkto Absurdität kaum überbieten.

© Dr. Ronald Bilik, Althistoriker und Stv. Vorsitzender des Freidenkerbundes

freidenker.at, 19.01.2015 - published by init
Mehr: http://www.freidenker.at/index.php/blog ... ritik.html
Ich empfehle diesen Artikel vollständig zu lesen. Er ist lehrreich und äußerst amüsant. :)

Re: „Rom“ lässt sich nicht kaufen

Verfasst: Dienstag 9. August 2016, 21:11
von Christel
Ich hatte das Thema mit Markion begonnen. Seine Fälschungstheorie (jüdische Verfälschung), die er um das Jahr 140 vorlegte, setzt eine bereits längere Bekanntheit der Evangelien und der Paulusbriefe zu dieser Zeit voraus.

Zurzeit von Markion gab es nicht nur in Rom eine christliche Gemeinde. Es gab u.a. die Zentren in Antiochia und Alexandria. „Die erste Katechetenschule entstand um das Jahr 150 in Alexandria.“ https://de.wikipedia.org/wiki/Katechete ... Alexandria - Eine solche christliche Bildungseinrichtung setzt ein etabliertes Christentum voraus.

Es war ein Christentum, das seine Entstehung im Judentum verankerte und sich auf den Juden Jesus von Nazareth berief. (Markion sah es deshalb bereits um das Jahr140 als verfälscht an.)
Ein Christentum, von dem es Zeugnisse und Verfolgung bereits im 1. Jahrhundert gibt.
Trotzdem behaupten einige, es wäre im Wahrheit erst im 2. Jahrhundert entstanden und der jüdische Ursprung sein eine Erfindung/Fälschung.

Bleibt die Frage wann, weshalb und wie soll die Verfälschung stattgefunden haben, zu der sich die zerstreuten christlichen Gemeinden demnach verschworen haben müssen?

Die Verschwörung muss so heimlich und einstimmig stattgefunden haben, dass von den Vorgängen nichts überliefert wurde. Und dies bei lauter zerstreuten, dezentral organisierten Gemeinden, die ansonsten alles andere als untereinander völlig einig waren.

Wie gesagt, der Althistoriker Dr. Ronald Bilik meint „eine derartige Theorie lässt sich Punkto Absurdität kaum überbieten.“ : http://www.freidenker.at/index.php/blog ... ritik.html

Hingegen erscheint eine andere These logisch und nachvollviehbar:
Der „historische“ Jesus hat „messianisch“ gewirkt und entsprach damit grundsätzlich der damaligen jüdischen Messias Erwartung.

Tod und Auferstehung Jesus bewirkten eine verstärkte Reflektion, nicht nur über das, was Jesus gelehrt hat, sondern vor allem über seine Person. Jesus als „Gesalbten“ zu bezeichnen ist naheliegend, denn gesalbt wurden im Judentum sowohl Priester als auch Könige. Ins Griechische übertragen ist der „Gesalbte“ „Christus“. Es handelt sich dabei lediglich um eine Übersetzung.
„er erniedrigte sich /
und war gehorsam bis zum Tod, /
bis zum Tod am Kreuz.
Darum hat ihn Gott über alle erhöht /
und ihm den Namen verliehen, /
der größer ist als alle Namen,
damit alle im Himmel, auf der Erde und unter der Erde /
ihre Knie beugen vor dem Namen Jesu
und jeder Mund bekennt: /
„Jesus Christus ist der Herr“

Ein Christuslied, zitiert in Philipper 2,8-11 wahrscheinlich um 60 in Rom.