Inhaftierung für 8 Tage zur "Unterbindung" (SZ Magazin)

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niels
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Inhaftierung für 8 Tage zur "Unterbindung" (SZ Magazin)

Ungelesener Beitrag von niels »

Im "Süddeutsche Zeitung Magazin" vom 18.12.2009 wird unter dem Titel

"Achtung, Achtung! In einem Klima der Angst ist jeder verdächtig."

Das merkte ein marokkanischer Student, der während des Oktoberfestes inhaftiert wurde - ohne Tatverdacht" in einem sehr lesenswerten Artikel über den ersten Fall der Anwendung von Artikel 17 des Polizeiaufgabengesetzes zur Terrorbekämpfung berichtet. Dies ist der Artikel zum "Unterbindungsgewahrsam" und wurde im geschilderten Fall dazu benutzt, einen Studierenden für acht Tage "vorsorglich" einzusperren - ohne jeglichen Tatverdacht.

der Artikel findet sich hier:

"SZ Magazin, 2009-12-18 - Achtung, Achtung! In einem Klima der Angst ist jeder verdächtig. Das merkte ein marokkanischer Student, der während des Oktoberfestes inhaftiert wurde - ohne Tatverdacht"
<http://sz-magazin.sueddeutsche.de/texte/anzeigen/31900>


Mich erinnert das doch sehr an das sog. "90 Tage-Gesetz" aus den Apartheidzeiten Südafrikas, das mit dem Ende dieser umgehend abgeschafft wurde. Während der Apartheid wurden auf Basis dieses Gesetzes "unliebsame" Schwarze ohne richterlichen Beschluß oder begründeten Tatverdacht (einer begangenen Tat) für bis zu 90 Tage (früher wohl mal 60 Tage) inhaftiert. Nicht selten kassierte man die nach 90 Tagen Freigelassenen gleich vor dem Polizeigefängnis wieder ein - für weitere 90 Tage...

Es gibt gute Gründe, warum Südafrika derartige Gesetze abschaffte. Selbst wenn wir unsere aktuelle Regierung für "vertrauenwürdig genug" halten, damit sachgemäß umzugehen, so muß dies schon lange nicht für die einzelne Polizeistation oder irgend eine zukünftige Regierung gelten.

Wir tasten damit einen wesentlichen Fundamentstein unseres Rechtsstaates an - die Unschuldsvermutung, die jeden Bürger solange für unschuldig hält, bis seine Schuld belegt werden kann. Der Rechtsstaat sieht (eigentlich) vor, das bei einem z.B. geklauten Faxgerät in einer Firma mit 100 Mitarbeitern alle Mitarbeiter solange als unschuldig gelten, bis man einem den Diebstahl bewiesen hat. Die "Anti-Terror" Gesetze sehen es andersherum. Alle Mitarbeiter werden schon des Diebstahls verdächtigt, bevor das Faxgerät überhaupt entwendet wurde.

Offenbar sind einige hohe Mitarbeiter der Polizei nder Meinung, man könne tatsächlich - a la "CSI Miami" - massenweise Straftäter ganz einfach mit Maus und Tatstatur "fangen" und die Polizei "benötige" diese neuen Möglichkeiten um überhaupt noch "ordentlich arbeiten" zu können. Schon überlegt man "alle vorhandenen Datenbestände" (bei Behörden, Bund, Ländern und Kommunen) doch "einfach zusammenzulegen". Welche Risiken damit für den Bürger - aus den verschiedensten Richtungen (damit meine ich nicht nur irgendwelche Werbung / Anrufe etc.) - scheint man nicht zu überblicken oder "in Kauf" nehmen zu wollen. Dabei sind auch Polizisten nur Menschen - ein derartiger Datenzugriff an einem PC-Arbeitsplatz bei der Polizei weckt Begehrlichkeiten verschiedensten Coleur. Allein unter streitenden Nachbarn könnte einer von beiden Polizist sein...

Dazu kommt, das bis heute kein Datennetz oder Computerprogramm auch nur annähernd "absolut sicher" ist und auch Anwender wie Dienstleister sind nur menschen. Allein ein einmaliger sicherheitstechnischer Vorfall könnte für alle Bundesbürger extrem kritische Folgen haben. Sind die daten erstmal im Umlauf, bekommt sie niemand mehr zurückgeholt...

In der Realität aber kommt man - da sind sich selbst eine Reihe hoher Polizeivertreter sicher - eh um "ordentliche, klassische Polizeiarbeit" nicht umhin - die zeigte sich bisher durchweg als den neuen Maßnahmen " weit überlegen" im Erfolg - die "Kollateralschäden" angewendeter Maßnahmen gibt es dagegen häufig in Kauf zu nehmen. Die Beispiele häufen sich heute schon enorm...

Den angeblichen "Sicherheitsgewinn" durch solche Gesetze halte nicht nur ich für extrem fraglich. Bisher hat keines der "Anti-Terror"-Gesetze in Europa oder den USA belegbar auch nur eine Straftat verhindern können. Die Einschnitte in unsere Bürgerrechte durch Rasterfahndung, Aufhebung der Unschuldvermutung und ausgedehnte Überwachungsmaßnahmen dagegen sind enorm. Meine Meinung ist, das ich das angeblich "erhöhte" Risiko eines Terroranschlages in Kauf nehmen würde, statt meine und Anderer Freiheitsrechte derart einschränken zu lassen.
Heinrich5

Re: Inhaftierung für 8 Tage zur "Unterbindung" (SZ Magazin)

Ungelesener Beitrag von Heinrich5 »

Das merkte ein marokkanischer Student, der während des Oktoberfestes inhaftiert wurde - ohne Tatverdacht
Das ist Polizeiwillkür, welche aus den Polizeistaaten "Drittes Reich" und "DDR" hinlänglich bekannt ist. Nähert sich unsere BRD wieder einem Polizeistaat an?
Im Dritten Reich verschwanden auch Menschen ohne Gerichtsurtel. Sie wurden in "Schutzhaft" genommen und kamen in ein KZ. Schutzhaft nannte es sich zynischerweise deshalb um die betreffenden Personen vor dem gerechten Volkszorn in Schutz zu nehmen. Im Iran ist so etwas auch Alltag.
In der DDR wurde man zur "Klärung eines Sachverhaltes" vorgeladen und konnte anschließend auch in einer Haftanstalt verschwinden. In Diktaturen ist alles möglich.

Zitat Niels:
Meine Meinung ist, das ich das angeblich "erhöhte" Risiko eines Terroranschlages in Kauf nehmen würde, statt meine und Anderer Freiheitsrechte derart einschränken zu lassen.
Das sehe ich auch so. Ein Risiko für einen Terroranschlag kann man grundsätzlich nicht ausschließen. Unsere Politiker sehen das wohl anders. Ich möchte aber nicht noch einmal in einem Polizeistaat-Überwachungsstaat leben wollen.
Liborius
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Re: Inhaftierung für 8 Tage zur "Unterbindung" (SZ Magazin)

Ungelesener Beitrag von Liborius »

Artikel 104 Abs. 2 Satz 2 und 3 des Grundgesetzes lautet wie folgt:

„(…) Bei jeder nicht auf richterlicher Anordnung beruhenden Freiheitsentziehung ist unverzüglich eine richterliche Entscheidung herbeizuführen. Die Polizei darf aus eigener Machtvollkommenheit niemanden länger als bis zum Ende des Tages nach dem Ergreifen in eigenem Gewahrsam halten.“

Der Marokkaner wurde also spätestens nach 24 Stunden einem Haftrichter vorgeführt, der über den weiteren Verbleib in der Haft zu entscheiden hatte. Welche Erkenntnisse der Verfassungsschutz dem Richter vorgelegt hat, geht aus dem Beitrag der SZ nicht hervor.
Diese Rechtsssituation kann man nun wirklich nicht mit dem 3. Reich oder der DDR vergleichen.
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niels
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Re: Inhaftierung für 8 Tage zur "Unterbindung" (SZ Magazin)

Ungelesener Beitrag von niels »

afaik nicht,
der Unterbindungsgewahrsam geht nicht von der in unserer Rechtsordnung üblichen Unschuldsvermutung aus. Details suche ich gern mal morgen raus.

Btw:
Du scheinnst Dich bisher noch nicht mit den diversen "Landesgesetzen" der Länder beschäftigt zu haben, denn einige derer stehen im (teilweise krassen) Widerspruch zum GG. Zumindest einige dieser Gesetze stehen mittlerweile auf der "Abscußliste" diverser Bürgerrechtsorganisationen, die diese vor dem Verfassungsgericht Stück für Stück hinwegklagen müssen.

Allerdings muß sich für jedes Gesetz auch erstmal ein Kläger finden. Z.B. macht sich in Niedersachsen ein ehem. Richter immer weniger "Freunde", weil er - ogbleich aus der Sicht seiner Gegner - "doch gar nicht unmittelbar betroffen" von den betr. Landesgesetzen (insbesondere die Polizeigesetze gegen Demonstranten oder die sog. "Drogenkomsumentenszene".). Einige Polizeigesetze weiten sogar Überwachungsgesetze wie Rasterfahndung, körperliche Durchsuchung oder "besondere Verdachtsmomente" wegen "Aufenthalts in kritischen Stadtgegenden", Leibesvisiten in der Öffentlichkeit, von Polizisten ausgesprochene Platz- oder gar Stadtverweise über mehrere Tage, nicht durchgeführte Löschung von Ermittlungsdaten bei nicht nachgewiesenen Straftaten, kriminaltechnische Erfassung von Fingerabdrücken und Fotos von Menschen zur "Verbrechensvorbeugung" durch das Landratsamt uvm.

Der ehem. Richter (in Rente) selbst argumentiert, das die momentan Betroffenen meist selbst nicht in der Lage zu einer Klage oder juristischen Klärung sind, er aber ebenso (wenigstens theoretisch) in eine solche Lage kommen könne, weshalb auch ihn das Gesetz treffe, da er ja in dem Land lebe. Damit hat er sich eine Menge Feinde gemacht, da schon heute viele Menschen oder Politiker nicht verstehen wollen, warum man "solchen leuten" überhaupt Rechte zubilligen wolle.

Ich wünsche jedem der Befürworter das er einmal selbst von den Rechtsfolgen der Gesetze mal "unangenehm" getroffen wird - in welcher Form auch immer.

Soviel Zivilcourage findet sich leider selten.

Übrigens finde ich dreist, das Zivilfahnder wie "offizielle" Polizisten sog. "POLAS" (Polizei Auskunfts System) Abfragen über unsichere Funkverbindungen durchführen lassen, die jeder mit nem billigen, mit nem Phasenumkehrer modifizierten Funkscanner im gesamten Funknetz mithören kann. So kann jeder Interessierte erfahren, wer (namentlich) abgefragt wird und was er so lt. Register in der Vergangenheit getan hat (oder auch nicht, aber ihm vorgeworfen wird/wurde).

Soviel Datenschutz darf es doch noch sein, oder?

Mit besten Grüßen für das neue Jahr an (ehem.) "Wipper 1" nach Nordhausen...
Liborius
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Re: Inhaftierung für 8 Tage zur "Unterbindung" (SZ Magazin)

Ungelesener Beitrag von Liborius »

hallo niels

sicher mit den Landesgesetzen kenne ich mich nicht aus und habe auch keine Veranlassung solche nachzulesen.
Falls du mich mit "wipper1" meinst, dann irrst du dich. Ich habe als Pensionär das Eichsfeldforum endeckt, weil ich auch mit Unstrutwasser einmal getauft wurden bin und mich immer noch dem Eichsfeld verbunden fühle. Vor mehr als 50 Jahren habe ich das Ländchen verlassen. Jetzt lebe ich in Frankreich. Als Nick habe ich den Namen meines Großvaters gewählt.
Ebenfalls noch ein recht und gesundes Neues Jahr.
Liborius
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Re: Inhaftierung für 8 Tage zur "Unterbindung" (SZ Magazin)

Ungelesener Beitrag von niels »

nein, sorry "wipper 1" ist der (u.U. ehem.) "Rufname" der Polizeidirektion Nordhausen, der als Teil des Funkprotokolles eigentlich "verschlüsseln" soll(te) das es sich um diesen Teilnehmer im Polizeifunk handelt. HIG war mal "wipper 16" usw. Leider handhaben manche Teilnehmer das Funkprotokoll zuweilen derart "lachs", das jeder Mithörende nach einer Zeit Zuhörens die "Schlüsselworte" deren (internen) Bedeutung zuordnen kann. Da es prinzipiell von jedem mit wenig technischem Aufwand mitgehört werden kann, gehen so auch datenschutzkritische Informationen "über den Äther". Ob die thüringer Polizei mittlerweile endlich digital-verschlüsselte Funknetze verwendet, ist mir allerdings nicht bekannt.

In der Vergangenheit wurde der Wechsel auf diese Technik "aus Kostengründen" immer wieder aufgeschoben, während digital-verschlüsselter Polizeifunk in fast allen Ländern weltweit - selbst vielen ärmeren Ländern - seit vielen Jahren Standard ist.

Auf jeden Fall - beste Grüße nach Frankreich und ein gesundes Jahr 2010.

Niels.
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