Gotteslästerungs-Paragraph § 166 StGB abschaffen

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Heinrich5

Gotteslästerungs-Paragraph § 166 StGB abschaffen

Ungelesener Beitrag von Heinrich5 »

Was ist eigentlich mit unserem deutschen Gotteslästerungs-Paragraphen § 166 StGB?

Dieser Paragraph bietet nicht nur die Möglichkeit gegen Andersdenkende gerichtlich vorzugehen, sondern auch Zensur auszuüben.


§ 166 Beschimpfung von Bekenntnissen, Religionsgesellschaften und Weltanschauungsvereinigungen

(1) Wer öffentlich oder durch Verbreiten von Schriften (§ 11 Abs. 3) den Inhalt des religiösen oder weltanschaulichen Bekenntnisses anderer in einer Weise beschimpft, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Ebenso wird bestraft, wer öffentlich oder durch Verbreiten von Schriften (§ 11 Abs. 3) eine im Inland bestehende Kirche oder andere Religionsgesellschaft oder Weltanschauungsvereinigung, ihre Einrichtungen oder Gebräuche in einer Weise beschimpft, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören.

Es gibt Gerichtsurteile, auch aus neuerer Zeit, bei denen ganz offensichtlich nach altem Kirchenrecht verfahren wurde. Zu erwähnen sind hier insbesondere Urteile im Zusammenhang mit dem „Gotteslästerungs-Paragraphen“ §166 StGB, sowie zahlreiche Schulgebetsurteile, Kirchensteuerentscheidungen und Arbeitsgerichtsurteile nach dem sogenannten Tendenzschutzparagraphen. Auch Kruzifixe in Gerichtssälen und das Wirken von Anstaltsgeistlichen in Justizvollzugsanstalten, das Wirken von Militärpfarrern bei der Bundeswehr, bezeugen, dass das Verfassungsgebot der Trennung von Staat und Kirche im Bereich der Rechtsprechung noch längst nicht vollzogen ist.

Volker Beck, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, hatte seine persönliche Meinung über § 166 StGB so formuliert:
Der Paragraph gehört "auf den Misthaufen der Rechtsgeschichte".
Beckstein (CSU):
Die Verunglimpfung von religiösen Gefühlen werde erleichtert, wenn der Paragraph abgeschafft würde. Damit störe Beck empfindlich das friedliche Zusammenleben von Menschen verschiedener Religionen.
Der SPD-Fraktionsvize Fritz Rudolf Körper:
"Es ist ganz wichtig, klare Grenzen zu setzen gegen Herabsetzungen oder Schmähungen. Dies ist ein wichtiger Beitrag zum gesellschaftlichen Frieden." Deshalb sei die Forderung der Grünen zurückzuweisen.
Der damalige bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber dachte über eine Verschärfung des § 166 StGB nach. Der sei in seiner jetzigen Form “stumpf und wirkungslos”. Stoiber kündigte eine entsprechende Initiative bei Bundeskanzlerin Merkel an. Wer bewusst die religiösen Gefühle anderer Menschen verletze, müsse mit einer harten Strafe rechnen - mitunter bis zu 3 Jahren Gefängnis.

Werner Kolhoff, Kommentator im Trierischen Volksfreund:
Denn wenn es nicht irgendwo eine Schranke gibt gegen Provokationen, wenn nicht irgendwann ein Richter Einhalt gebieten kann, dann ist das Tor für den Krieg der Religionen offen.
Irene Nickel schrieb dazu einen Leserbrief:
Dieser Kommentar von Werner Kolhoff verdient Widerspruch. Eine Abschaffung des Straftatbestandes der Gotteslästerung würde keineswegs zur Abschaffung jener Grenzen führen, die zum Schutze des öffentlichen Friedens erforderlich sind.
Diese Grenzen würden weiterhin bestehen, etwa in Straftatbeständen wie Beleidigung (§ 185 StGB), Volksverhetzung (§ 130 StGB) und Anstiftung zu Straftaten (§ 26 StGB).
Unter dem Schutz dieser Gesetze würden religiöse Menschen und Gruppen weiterhin stehen, ebenso wie andere Menschen und Gruppen auch. Und das muss religiösen Menschen und Gruppen ebenso genügen wie anderen Menschen und Gruppen auch.
Falls religiöse Menschen zu besonders heftigen Reaktionen neigen, durch die der öffentliche Friede in Gefahr gerät - Werner Kolhoff sprach von einem "Krieg der Religionen" - dann ist das kein Grund, diese Leute mit Samthandschuhen anzufassen.
Im Gegenteil, diesen Leuten muss mit aller Deutlichkeit klargemacht werden, dass sie sich an unsere Gesetze zu halten haben wie andere Menschen auch.
Dass sie nicht mit besonderer Milde rechnen können, wenn sie Landfriedensbruch begehen (§ 125 StGB), Gewalttaten oder sonstige Straftaten. Es wäre absurd, diese Leute auch noch für ihr Fehlverhalten zu belohnen, indem man ihnen weiterhin eine einzigartige Möglichkeit bietet, gegen Andersdenkende vorzugehen. Der Gotteslästerungsparagraph gehört abgeschafft.
De facto wird das Gesetz dazu herangezogen Zensur gegen religionskritische Kunst und Satire auszuüben und die Meinungsfreiheit einzuschränken. Über die Praxis der Anwendung dieses Paragraphen ist bei Wikipedia einiges zu lesen:

http://de.wikipedia.org/wiki/Beschimpfu ... einigungen

Ich plädiere auch dafür, die Abschaffung dieses Gesetzes zu fordern.

Gegen Beleidigung gibt es schon den § 185, ich sehe nicht ein, warum der Kirche hier ein eigener Paragraph zugestanden werden muss, in dessen Namen Zensur ausgeübt werden kann und wird.

Dass es den § 166 gibt ist sicherlich aus der Gesetzestradition (hier laut Wikipedia seit 1851 (PStGB)) heraus zu verstehen, wie sonst könnte dieser Paragraph legitimiert sein? Aus der CSU heraus gab es in den letzten Jahren leider sogar Äußerungen die forderten den Paragraphen zu verschärfen.
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niels
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Re: Gotteslästerungs-Paragraph § 166 StGB abschaffen

Ungelesener Beitrag von niels »

§ 166 Beschimpfung von Bekenntnissen, Religionsgesellschaften und Weltanschauungsvereinigungen
Darauf kann ein moderner Staat gern verzichten. Beleidigungen,

Wenn ich z.B. sagen würde: "Kommunismus ist doof" würde das niemanden juristisch jucken...
Wenn ich sagen würde: "Islam ist doof" oder "Kirche ist doof" könnte man mich drankriegen?

Problematisch ist schon der begriff "Beschimpfungen", weil er dehn- und ziehbar ist wie ein Kaugummi - also fast schon ideal passend für Religionsvertreter, die im Ziehen wie im Dehnen ja geübt sind.
Verleumdungen und üble Nachrede sind ja bereits im StGB geregelt - das sollte m.E. weithin reichen.

btw:
Wusste gar nicht, das es solch antiquierte Normen noch gibt. Dachte das wäre schon lange aus dem StGB - ebenso wie in etwa der § zu "grober Unfug" - entfernt worden.
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Re: Gotteslästerungs-Paragraph § 166 StGB abschaffen

Ungelesener Beitrag von Liborius »

@heinrich5

der Art. 166 StGB schützt die Weltanschauung von jedermann/frau vor verbalen Angriffen und Beleidigungen. Das hat überhaupt nichts mit Gotteslästerung zu tun.
Auch die Ansicht eines Atheisten oder eine Vereinigung von Atheisten steht unter dem gleichen Schutz des Staates wie jede andere Religion.
Der Staaat hat Grenzen gesetzt, denn die Beschimpfung muß öffentlich erfolgen und den Frieden gefährden.
Der Forderung nach einer ersatzlosen Streichung des Artikel kann ich micht nicht anschliessen.
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niels
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Re: Gotteslästerungs-Paragraph § 166 StGB abschaffen

Ungelesener Beitrag von niels »

@Liborius

Da habe ich gleich drei Fragen:

1.) Wenn Beleidigung, Verleumdung, üble Nachrede usw. bereits durch das Gesetz gedeckt sind, wozu braucht man dann dieses Gesetz? "verbale Angriffe" sind u.a. auch freie Meinungsäußerung oder Kritik - aber auch freier Journalismus. Wenn man es behalten wollte, müsste man es auch durchsetzen - für und vor jedem gleich. Vom Nazi bis zum Christen - alle oder keiner.

Das Gesetz hat ebenso zur Folge, das ein in Deutschland lebender Moslem allen "Ungläubigen" das Wort "Allah" - oder auch Karrikaturen von diesem - irgendwann untersagen kann - ebenso wie die Kirche bestimmte Karrikaturen vom Papst (wovon es einige sehr nette gibt, finde ich ;). Was "Beschimpfung" ist, legt der Betroffene fest - nicht das Gesetz. Deshalb ist das Gesetz ungeeignet, auch wenn es heute nur relativ selten Anwendung findet. Das Gesetz ist da.

Der Eingriff in die Meinungsfreiheit aller halte ich für ein wesentlich höheres Gut als die persönlliche Befindlichkeit irgendeines Einzelnen, soweit nicht ein anderes Strafgesetz Anwendung findet.

2.) Vor dem Gesetzt ist jeder gleich. Schützt sie auch Neonazis, Alt-Kommunisten oder irgendwelche Sektenanhänger / - führer? Das mag ich bezweifeln.

3.) wie definiert man - vor allem juristisch - was eine "Beschimpfung" ist? Von "Schimpfen" findet man (aus gutem Grund) nichts in der Strafgesetzgebung.

Demnach dürfte man zwar den Bundespräsidenten "beschimpfen", aber einen Kommunisten oder Neonazi nicht? Begriffe wie "Verleumdung", "Beleidigung", "üble Nachrede" Mobbing usw. sind bereits strafrechtlich erfasst und recht klar definiert. Was aber eine "Beschimpfung" ist, legt im Unterschied zu ersteren Begriffen der Betroffene fest, was nicht Ma0 der Dinge in einem Rechtsstaat sein kann. Immerhin ist der Übergang von Kritik zu "Schimpfen" flüssig - Kritik (freie Meinungsäußerung) aber explizit erlaubt.
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Re: Gotteslästerungs-Paragraph § 166 StGB abschaffen

Ungelesener Beitrag von niels »

achja,
Ganz vergessen:
Wenn man einen derartigen Paragraphen behalten will, dann solle er jeden Menschen gleich behandeln. Demnach müsste er in etwa lauten:

"Wer einen anderen oder eine Gruppe beschimpft wird bestraft"

Wer wollte das aber? Ich nicht, denn aus der Sicht vieler sind eine ganze Reihe öffentlicher Postings hier "Beschimpfung" - egal ob das der jeweilige Autor ähnlich sieht. Ich denke aus dem Mittelalter sind wir langsam raus.
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Re: Gotteslästerungs-Paragraph § 166 StGB abschaffen

Ungelesener Beitrag von Liborius »

niels hat geschrieben:achja,
Ganz vergessen:
Wenn man einen derartigen Paragraphen behalten will, dann solle er jeden Menschen gleich behandeln. Demnach müsste er in etwa lauten:

"Wer einen anderen oder eine Gruppe beschimpft wird bestraft"

Wer wollte das aber? Ich nicht, denn aus der Sicht vieler sind eine ganze Reihe öffentlicher Postings hier "Beschimpfung" - egal ob das der jeweilige Autor ähnlich sieht. Ich denke aus dem Mittelalter sind wir langsam raus.
Wer eine Person beleidigt, der wird nach § 185 StGB betraft. Eine Beleidigung eines Verfasssungsorgan wie der Bundespräsident, die Bundesregierung oder Mitglieder des Bundestages wird nach § 90, 90a und 90b bestraft.
Um nun eine Gemeinschaft nicht schutzlos zu lassen, ist der § 166 zwingend notwendig. Es geht hier sicher nicht um einen Blödmann. der auf einem Platz eine Brandrede gegen irgendeine Religion hält. Es geht aber um die Beleidigung in öffentlichen Medien wie TV oder Printpresse. Auch Theateraufführungen mit obzönen Angriffen auf die Religion wurden sogar vom BVerG als nicht vereinbar mit der Pressefreiheit oder mit dem Kunstverständnis erklärt.
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Re: Gotteslästerungs-Paragraph § 166 StGB abschaffen

Ungelesener Beitrag von niels »

Um eine Gemeinschaft nicht schutzlos zu lassen..
Damit bestätigst Du m.E. meine Thesn:

- das der Paragraph entweder für alle Gruppen und juristische Personen Gültigkeit haben muß
Allerdings könnte man dann auch die bestehenden StGB Paragraphen (Beleidigung, Verleumdung, üble Nachrede usw.) um Gruppen und juristische Personen - z.B. in einem eigenen Absatz - ergänzen, sofern das Gesetz diese nicht eh schon einbezieht.

- Du sprichst immer von "Beleidigung" - im Gesetz aber steht "Beschimpfung", darin sehe ich (wie schn beschrieben) einen erheblichen Unterschied.

Für mich bleibt weiterhin offen:
- was ist eine "Beschimpfung"?
- was ist eine "Religionsgesellschaften", ein "Bekenntnis" oder "Weltanschauungsverein" bzw. was denn NICHT? Ich bin gespannt, wie man das juristisch brauchbar Ausdefinieren wollte, ohne das eine Verschiebung der Wichtung zu Lasten einzelner (Gruppen) erfolgt.

ich sehe in dem Gesetz - selbst wenn es nur gelegentlich Anwendung findet heute - wegen der entweder gleich mehrfach ungenauen Definition der verwendeten Begriffe ODER einer gewollten Bevorzugung bestimmter Gruppen / Gruppierungen eine klare Verschiebung von gemeinschaftlichen Interessen zugunsten bestimmter Gruppierungen - z.B. gegen Interessen wie Meinungsfreiheit, freier Journalismus usw.

Erste Diskussionen - z.B. mit islamischen Gruppen - zeichnen sich bereits ab, wo die Verbände vorgeben wollen, was eine "Beschimpfung" aus ihrer Sicht ist - z.B. In einer Karrikatur Mohammeds oder dem Verwenden oder Abdrucken des Wortes "Allah" durch aus deren Sicht "Ungläubige".

Ich sage dann weiter z.B. nur mal: "ich glaube an den heiligen Adolf Hitler, unseren Messias" oder "ich glaube an den Propheten Marx" oder "die heilige Kirche Scientology" usw. Solche Bekenntnisse kann (und darf) man nicht verwehren.

Aber auch:
Ich glaube daran, das die Stammzellen und Genforschung die Aufgabe und Zukunft der Menschheit ist".

Macht es einen Unterschied, ob jemand etwas glaubt, meint oder weiß?

Btw:
Wer ein "Blödmann" ist, kann niemand festlegen - jeder kann potentiell jeden für einen "Blödmann" oder "Gruppe von Blödmännern" halten. Wer das festlegen wollte, maßt sich etwas an, das gegen die Gleichstellung aller vor'm Gesetz - ein Grundprinzip unserer Rechtsordnung - verstößt. Allein Deine Äußerung zeigt, das es Menschen gibt die offenbar so denken und handeln.
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Re: Gotteslästerungs-Paragraph § 166 StGB abschaffen

Ungelesener Beitrag von niels »

...aber vielleicht muß erst eine andere religiöse oder "weltanschauliche" Gruppe in Deutschland annähernd so groß (und damit gem. der Logik einiger christlicher Verbände) "so einflußreich" werden wie bisher die christliche (oder diese entsprechend klein genug) damit auch wir Deutsche feststellen, wie unsinnig und falsch derartige Gesetze sein können bzw. sind, wenn diese mit ihren Forderungen und Ansichten durchdringen.

Heute aktuell Z.B.: islamisch-gesetzliche Feiertage, Karrikaturen / Verwendung des Wortes "Allah", Islam-Steuer, verbeamtete haushaltsfinanzierte Muftis und Prediger usw.

Dann wird man auch feststellen, das die Größe einer Gruppe (im Rahmen solcher Gesetze) nicht maßgebend für deren politischen Einfluß sein darf. Deren Anhänger sind ja meistens auch Wähler und haben damit bereits genug Einfluß auf die Demokratie. Einen zusätzlichen Einfluß durch die Verbände - die bereits heute mehr Lobbyismus betreiben als rein sachlich beratend beizustehen -- braucht es dazu nicht.

Die momentane "Gegendiskussion" über gesetzlich verbriefte "abendländisch-christliche" Werte soll lediglich über derartige Probleme hinwegtäuschen - eine Lösung wäre das nicht, da man lediglich den "Teufel mit dem Belzebub" austauschen würde. Eine Lösung kann nur eine saubere Gleichstellung aller Menschen und Gruppen vor dem Gesetz bewirken - damit ggf. auch mit Einschnitten für einzelne verbunden, die bisher (zu Unrecht) irgendwo bevorteilt worden sind.

"leider Gottes"...
Heinrich5

Re: Gotteslästerungs-Paragraph § 166 StGB abschaffen

Ungelesener Beitrag von Heinrich5 »

Was diesen Gotteslästerungsparagraphen betrifft, so fällt mir hier ein, was Voltaire über die Meinungsfreiheit sagte:

"Ich bin nicht Ihrer Meinung mein Herr, aber bereit dafür zu sterben, dass sie geäußert werden darf."

Ich erinnere mich an die Entscheidung, eine für den November 2006 geplante Wiederaufnahme der Inszenierung von Mozarts großer Choroper "Idomeneo" abzusetzen. Darin wurde, als vom Regisseur angefügtes Nachspiel am Ende der Oper, der abgeschlagene Kopf u. a. des islamischen Propheten Mohammed (neben den blutigen Köpfen von Jesus, Buddha und Poseidon) gezeigt.

Anlass für die Absetzung waren Bedenken beim Berliner Innensenator und dem Landeskriminalamt Berlin. Sie hielten „gewalttätige Aktionen“ für möglich, auf die sie die Intendanz hinwiesen. Nach Kritik an der Absetzung aus Kultur und Politik wurde die Warnung relativiert und die Inszenierung im Dezember 2006 wieder aufgeführt.

Religiöse Fanatiker kündigten einen Krieg gegen die Aufführung eines Theaterstücks in New York City an. Anonyme Schreiben drohten damit, jedes Mitglied der Theatertruppe "auszurotten" und das Haus selbst abzufackeln. Die Premiere wurde daraufhin abgesetzt. Es ging um das Homosexuellen-Drama "Corpus Christi" von Terence McNally, in dem angeblich Jesus und seine Jünger als Schwule dargestellt werden.

Auch in Deutschland hatte 1998 die Katholische Liga für religiöse und Bürgerrechte mit dem heiligen Krieg gedroht; die Auseinandersetzungen dauerten bis 2002, bis die Staatsanwaltschaft Köln ihre Ermittlungen gegen die örtlichen Aufführer des Stücks wegen "Herabsetzung des Glaubens" einstellten. Es gab es Todesdrohungen gegen Intendanten, die das Stück auf den Spielplan setzten, und Bombendrohungen gegen die Häuser; die Aufführungen konnten nur unter Polizeischutz stattfinden.

Die Freiheit der Kunst ist unteilbar. Man kann sie nicht dort außer Kraft setzen wollen, wo sie einen selbst verletzt, sie aber dort einklagen, wo sie andere verletzen könnte.

"Idomeneo" wurde nicht direkt Opfer des islamistischen Terrors, sondern des Mullahs im Kopf deutscher Politiker, der Folge des islamischen Terrors gegen die Mohammed-Karikaturen war.

Wer darf bestimmen, was hier gesagt, gedruckt, gespielt, gesungen oder gemalt wird?

Ist der Christengott tatsächlich so hilflos, dass er immer noch inquisitorisch anmutender Gesetzesparagraphen bedarf – und somit staatlicher Hilfe - um sich Ketzern, Häretikern und Andersdenkenden erwehren zu können? Andererseits sind die Christen bei herabwürdigenden religiösen Darstellungen Anderer, wie z.B. der so genannten Judensau an christlichen (Dom)Kirchen nicht so zimperlich. Das gehört dann halt zur künstlerischen Freiheit (christlicher Werte).
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Re: Gotteslästerungs-Paragraph § 166 StGB abschaffen

Ungelesener Beitrag von niels »

"Ich bin nicht Ihrer Meinung mein Herr, aber bereit dafür zu sterben, dass sie geäußert werden darf."
Danke, das befreit merklich ;)
Religiöse Fanatiker kündigten einen Krieg gegen die Aufführung eines Theaterstücks in New York City an. Anonyme Schreiben drohten damit, jedes Mitglied der Theatertruppe "auszurotten" und das Haus selbst abzufackeln. Die Premiere wurde daraufhin abgesetzt. Es ging um das Homosexuellen-Drama "Corpus Christi" von Terence McNally, in dem angeblich Jesus und seine Jünger als Schwule dargestellt werden
Nach dem § 166 sind sie doch "selber Schuld", denn nach dem Strafgesetz zu "Beleidigung" sind wechselseitige beleidigungen ggf. unwirksam oder eine auf eine Beleidigung folgende Gewalttat wird ggf. als "minder schwerer Fall" gewertet.

Hier aber geht es ja nicht mal um Beleidigung, sondern Beschimpfung.
"Idomeneo" wurde nicht direkt Opfer des islamistischen Terrors, sondern des Mullahs im Kopf deutscher Politiker, der Folge des islamischen Terrors gegen die Mohammed-Karikaturen war.
Ja,
es ist für mich offensichtlich, das die Menschen wie Politiker mit einem solchen Gesetz nicht umzugehen wissen. Schon das Hin- und her in diesem Fall lässt darauf schließen.
Wer darf bestimmen, was hier gesagt, gedruckt, gespielt, gesungen oder gemalt wird?
Solange "Beschimpfung" und "Religion" bzw. "Bekenntnis" nicht juritsisch definierbar sind und Religion / Bekenntnis mit "Glaube bzw. Gottglaube" gleichgesetzt wird, werden diese Gruppen - direkt wie indirekt - vordringlich bestimmen, was akzeptabel ist und was nicht.


noch ein Beispiel:
Wie schon beim Thema "Gott im Amtsblatt". Im Heiligenstädter Amtsblatt erscheint häufiger - oft sogar auf dem Titelbild - ein Kreuz, eine Kirche oder eine Abbildung mit klar christlich-religiösem Bezug (z.B. mal Althaus mit dem Propst), was dort eigentlich nichts zu suchen hat, da ein Amtsblatt ja eine hoheitliche (staatliche) Aufgabe bekleidet / bekleiden sollte. Auf den Folgeseiten findet man ausführliche Berichte kirchlicher Gegebenheiten, ja sogar Gebete und christliche "Predigten".

Was wäre, wenn ein paar im Eichsfeld lebende Moslems (von anderen Glaubens oder Weltanschauungsanhängern erst gar nicht zu sprechen) auf Seite eins oder zwei - dort wo immer "Gebete" von irgendwelchen Pfarrern abgedruckt werden - das islamische Glaubensbekenntnis abgedruckt haben wollten, oder gar das Wort "Allah" o.ä. auf der Titelseite? Wäre das möglich? Ich glaube kaum, dabei müsste man ihnen das der Fairness halber einräumen, denn die eichsfelder Amtsblätter sind ja voll mit "Kirchenkram" und "Christentum", trotz grundgesetzlicher Trennung von Staat und Kirche.

Das Amtsblatt vermittelt damit den Eindruck, das "Eichsfeld sei katholisch" - damit auch all seine Bewohner. Als Region in der Bundesrepublik aber kann die Region nicht die Religion oder Weltanschauung der Einwohner festlegen - auch nicht präferieren, jedenfalls nicht politisch wie behördlich (verwaltungsrechtlich). Würde die Kirche das gesamte Eichsfeld "am Stück" als Grundstück erwerben, könnte sie das gern festlegen. Allerdings ist es heute nicht mehr so einfach wie im Mittelalter, Menschen wie Land einfach als "Eigentum" zu erklären. man müsste schon reales Geld ausgeben. ;)

Die Kirche sieht sich ja selbst als Behörde, demnach kann sie gern auch ein eigenes "X-Blatt" herausbringen - für ihre Anhänger (für andere wäre es "Spam"). Möchte sie im Amtsblatt "aktiv" werden, kann sie dies nach den bestehenden Regeln für Werbung usw. tun. Ich möchte nicht mal bestreiten, das man andere Glaubensgruppen im Amtsblatt nicht berücksichtigen würde, allerdings würde man denen dann kaum ähnliche Optionen einräumen wie der Kirche.
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