Art. 4 Grundgesetz - "Religionsfreiheit"

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niels
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Art. 4 Grundgesetz - "Religionsfreiheit"

Ungelesener Beitrag von niels »

In einer Reihe - in der Regel Rechte bekleidende - Gesetze findet man bis heute den Begriff "Religion". M.E. sollte man dieses in "Weltanschauung" ändern, da es in der Praxis immer wieder zu Unklarheiten darüber kommt, was denn nun Religion ist und wo die aufhört.

Zu einer Weltanschauung muß ja kein Gott oder Allah gehören, nicht mal zwingend ein "Prophet" oder "Messias". Wie groß die Anhängerschaft der jeweiligen Anschauung ist bzw. sein muß, damit man es als "Glaubensgemeinschaft" bezeichnen kann, ist auch schwer eindeutig klärbar.

Der Artikel 4 unseres GG sieht dies in Absatz 1 so auch vor, "relativiert" dies aber bereits im Absatz 2, wo es heißt: "die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet". Man findet eine große Reihe weiterer Gesetze, am bekanntesten ist wohl u.a. das Versammlungsgesetz ("Vermummungsverbot") usw..

Heute gibt es eine Vielzahl Weltanschauungen, deren man viele nur schwer als "Religion" einstufen könnte. Das Recht auf freie Weltanschauung muß auch die Gleichbehandlung aller Weltanschauungen sicherstellen. gesetze und Einzelnormen die sich allen auf "Religion" beziehen, stehen dem entgegen.

Oder nicht?
Heinrich5

Re: Art. 4 Grundgesetz - "Religionsfreiheit"

Ungelesener Beitrag von Heinrich5 »

Mit Religionsfreiheit und Weltanschauungsfreiheit ist doch ziemlich dasselbe gemeint.
Siehe bei:
http://de.wikipedia.org/wiki/Weltanschauungsfreiheit

Philosophisch gesehen sind Religionen Weltanschauungssysteme, die auf der Annahme gründen, es gäbe eine Schnittmenge zwischen der diesseitigen "Welt des Menschen" und der jenseitigen "Welt an sich", zu der Privilegierte (insbesondere die jeweiligen Religionsstifter) per Offenbarung Zugang hätten. Religionen gründen also - und das ist der entscheidende Gegensatz zum wissenschaftlichen Denken - auf der Idee der offenbarten Wahrheit.

Politisch gesehen verwischen sich die Unterschiede zwischen Religionen und nichtreligiösen Weltanschauungen hinsichtlich der Gewährung bürgerlicher und politischer Rechte.

Außerhalb des deutschen GG gibt es noch den Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte

Die Religionsfreiheit / Weltanschauungsfreiheit ist auch in Art. 18 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte (UN-Zivilpakt) festgehalten:

1. Jedermann hat das Recht auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit. Dieses Recht umfasst die Freiheit, eine Religion oder eine Weltanschauung eigener Wahl zu haben oder anzunehmen, und die Freiheit, seine Religion oder Weltanschauung allein oder in Gemeinschaft mit anderen, öffentlich oder privat durch Gottesdienst, Beachtung religiöser Bräuche, Ausübung und Unterricht zu bekunden.“

2. Niemand darf einem Zwang ausgesetzt werden, der seine Freiheit, eine Religion oder eine Weltanschauung seiner Wahl zu haben oder anzunehmen, beeinträchtigen würde.

3. Die Freiheit, seine Religion oder Weltanschauung zu bekunden, darf nur den gesetzlich vorgesehenen Einschränkungen unterworfen werden, die zum Schutz der öffentlichen Sicherheit, Ordnung, Gesundheit, Sittlichkeit oder der Grundrechte und -freiheiten anderer erforderlich sind.

4. Die Vertragsstaaten verpflichten sich, die Freiheit der Eltern und gegebenenfalls des Vormunds oder Pflegers zu achten, die religiöse und sittliche Erziehung ihrer Kinder in Übereinstimmung mit ihren eigenen Überzeugungen sicherzustellen.
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niels
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Re: Art. 4 Grundgesetz - "Religionsfreiheit"

Ungelesener Beitrag von niels »

Religion und Weltanschauung ist eben NICHT das selbe, wenn ich die von Dir zitierten Quellen und Aussagen betrachte - auch wenn damit "so ziemlich das selbe" gemeint sein soll.

Gesetze sollten keine schwammigen Aussagen treffen, demnach auch nicht klar definierte Begriffe meiden (auchw enn das zuweilen immer wieder geschieht - z.B. im SGB II).

Den Wikipedia-Artikel sehe ich daher eher kritisch und ungeeignet, denn aus diesem lässt sich keine eindeutige Aussage / Definition treffen - er entspricht eher der "umgangsprachlichen Verwendung" bzw. Verständnis von "Religion" oder "Weltanschauung".

Stalinismus wie Marxismus, Nazismus usw. wären demnach ebenso eine Religion, was viele - selbst einige Richter - abstreiten würden. Das selbe gälte für die Wissenschaft, Pseudowissenschaft, Astrologie oder noch ganz andere Bereiche.

Religion IST (i.d.R. - aber auch nicht zwingend) zwar eine Weltanschauung - aber nicht vice versa.

Und wenn z.B. mit "Religion" nur bereits bestehende Glaubensgruppierungen gemeint sind (was manch einer so sehen mag), ist die Offenheit für neue auch nicht gewährleistet. Zudem sollte jeder Mensch auch das Recht haben, seinem persönlichen Glauben nachzugehen, unabhängig davon ob es eine Gruppe dazu gibt oder nicht, einen Propheten oder nicht oder einen imaginären Alpha halt.

Entsprechend fragwürdige Urteile findet man dazu in der bisherigen (deutschen) Rechtssprechung.

Artikel 18 trifft da m.E. korrektere Aussagen.

Demnach stünde doch auch nichts im Wege, den Begriff "Religion" in allen betr. deutschen Gesetzen in "Weltanschauung" zu ändern, oder? Allerdings hat dann z.B. das Vermummungsverbot kaum exekutive Kraft mehr.
Heinrich5

Re: Art. 4 Grundgesetz - "Religionsfreiheit"

Ungelesener Beitrag von Heinrich5 »

In meiner Schulzeit hat man es sich noch recht einfach gemacht. Da war Weltanschauung der Oberbegriff, welcher sich noch unterteilte in die:

- materialistische Weltanschauung (also nichtreligiöse bzw. atheistische, bzw. antitheistische Weltanschauung und

- idealistische Weltanschauung (theistische Weltanschauung)

aus dieser Sicht gesehen, könnte man den Begriff Religion auch durch Weltanschauung ersetzen

Gemäß dem deutschen Grundgesetz aber wird Weltanschauung als Gegenstück zur Religion angesehen. Während letztere eine transzendente Erklärung des Weltganzen liefert, befasst sich die Weltanschauung mit einer weltimmanenten Gesamtsicht der Welt.

Artikel 3 [Gleichheit vor dem Gesetz]:

(3) Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden.

Artikel 4 [Glaubens-, Gewissens- und Bekenntnisfreiheit]

(1) Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich.

(2) Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet.

Aus der Regelung des Art. 4 Abs. 1 GG wird geschlussfolgert, dass Weltanschauung und Religion gleich zu behandeln seien.
Unter diesem Gesichtspunkt werden die weiteren Bestimmungen des Grundgesetzes bezüglich der Religion gelesen und auch auf die Weltanschauungen angewendet.
Eine trennscharfe Abgrenzung zwischen Religion und Weltanschauung soll damit nicht notwendig sein.

Definition Weltanschauung heute:

Unter einer Weltanschauung versteht man heute vornehmlich die auf Wissen, Erfahrung und Empfinden basierende Gesamtheit persönlicher Wertungen, Vorstellungen und Sichtweisen, die die Deutung der Welt, die Rolle des Einzelnen in ihr und die Sicht auf die Gesellschaft betreffen.
Werden diese Überzeugungen reflektiert und systematisiert und fügen sich so zu einem zusammenhängenden Ganzen, dann kann von einer geschlossenen Weltanschauung gesprochen werden.
Solche Systeme können auch von einer Gruppe, einer Gesellschaft und selbst von mehreren Kulturen geteilt werden.

Diese Definition könnte durchaus Grundlage für ein geändertes Grundgesetz sein.
Christel
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Re: Art. 4 Grundgesetz - "Religionsfreiheit"

Ungelesener Beitrag von Christel »

Heinrich5 hat geschrieben:In meiner Schulzeit hat man es sich noch recht einfach gemacht. Da war Weltanschauung der Oberbegriff, welcher sich noch unterteilte in die:

- materialistische Weltanschauung (also nichtreligiöse bzw. atheistische, bzw. antitheistische Weltanschauung und

- idealistische Weltanschauung (theistische Weltanschauung)

aus dieser Sicht gesehen, könnte man den Begriff Religion auch durch Weltanschauung ersetzen.
So habe ich es bis eben immer noch gesehen. - Wieder was dazu gelernt!

Nicht wenige Begriffe werden heute anders definiert. Mir ist das erst kürzlich beim Begriff „Pluralismus“ aufgefallen.

Grüße
Christel
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Christel
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Re: Art. 4 Grundgesetz - "Religionsfreiheit"

Ungelesener Beitrag von Christel »

Vielleicht lag es ja auch daran, dass die marxistische-leninistische Weltanschauung überall an erster Stelle zu stehen hatte?
Die idealistische Weltanschauung ist eigentlich eine philosophische Weltanschauung, weniger theistisch sondern viel mehr deistisch.
Also nicht identisch mit Religion oder Christentum... - Und was ist mit dem Buddhismus?
So gesehen deckt der Begriff „Weltanschauung“, vielleicht doch nicht „Religion“ mit ab.

Wie gesagt, für mich war Weltanschauung bis heute auch der Oberbegriff. - Aber stimmt das?
Wenn nicht, dann wäre damit die "Religionsfreiheit" tatsächlich aus dem Grundgesetz gestrichen.

Grüße Christel
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niels
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Re: Art. 4 Grundgesetz - "Religionsfreiheit"

Ungelesener Beitrag von niels »

@Christel:
Im Mittelalter hatte die Kirche an erster Stelle zu stehen, bei den Kommunisten der Kommunismus. Der Begriff "Weltanschauung" - der ja erst einmal nur sagt, wie der Mensch sich und die Welt "schaut" - wurde allerdings immer mal wieder "verbogen" und z.T. auch fast "mißbraucht" - z.B. indem man Religion ausschloß.

hmmm,,

ich denke das selbst die "klassischen" Begriffe "Weltanschauung" und "Religion" bei der heutigen Vielfalt immer weiter ineinanderlaufen - bei der "Religion" vor allem in der Praxis" (sie mischt sich ja erheblich in materielle Fragen der Anhänger ein und betreibt selbst ganz "materialistisch" Unternehmen und Konzerne - zumindest sehe ich kein (oder kaum) rein idealistisches Christentum mehr) und bei den sog. "materialistischen" Modellen (z.B. sehen einige Marxisten Marx als idealistische Lehre, in der Marx & Co. eine Art "Prophetenrolle" spielt) in der Theorie. Viele neue Modelle lassen sich gar nicht mehr in eine der beiden "Schubladen" stecken.

Selbst wenn man weiter nach idealistisch und materialistisch unterscheiden wollte - kein Mensch n kann sich anmaßen hier juristische Unterscheidungen zu treffen - d.h. unterschiedlich zu behandeln

Buddhismus ist nur ein Beispiel, wie eine sogar sehr alte Weltanschauung zur "Religion" (Riten, Regeln, Vergötterung, Institutionalisierung usw.) stilisiert wurde - heute von einigen "Anhängern" (u.a. durch heute bessere "Übersetzungen" überlieferter Schriften) der "ursprünglichen" Lehre "Buddhas" (Gautamas) wieder zur reinen "Weltanschauung", die z.B. Buddha eher als - nach heutigen Maßstäben - "Philosophen" betrachtet.

Zur Zeit der Grundgesetzesväter spielten derart "exotische" Anschauungen kaum eine Rolle - man kannte hauptsächlich "Religion" (eigentlich auch nur Christentum) und "deistische Weltanschauung" (Wissenschaft, materialistische Modelle a la Kommunismus).

Weltanschauung sagt ja erst einmal nur, "wie der Mensch die Welt wie sich schaut" (z.B. das Warum? Das Wie? usw.). Aus der Anschauung erwächst das Bild, daraus wiederum das Handeln des Menschen. Bei vor allem - aber nicht nur (!) - "klassischen" Religionen gehört dazu auch die Ausübung von "Riten" im weitesten Sinne wie auch Handlungsstrukturen.

Lt. GG z.B. hat nur eine Religion Anspruch auf die ungestörte Ausübung derartiger "Riten" - das gilt so nicht für jede Weltanschauung, zumindest die, die man nicht als "Religion" definiert.

Wenn jemand aus seiner Weltanschauung heraus Riten oder Handlungsstrukturen nachgehen möchte, sollte man ihm diese ebenso "ungestört" ermöglichen - mit den selben Einschränkungen wie bisher auch für Religiöse (Strafrecht etc.).

Z.B. Darf heute niemand Menschen töten, weil seine Weltanschauung oder Religion Menschenopfer fordert - schon gar nicht ohne deren Einwilligung. (btw: Gäbe es in der christlichen Kirche Menschenopfer, wären die dann heute mit Einverständnis der zu tötenden erlaubt? Natürlich ist das nicht so, aber hier geht's auch um's Prinzip)

2. Beispiel: Versammlungsgesetz: dort dürfen nur "Religiöse", deren Religion ihnen das vorschreibt (also z.B. Muslime) ihr Gesicht / ihre Person verhüllen. Für alle anderen ist das streng verboten. Dabei können Menschen aus verschiedensten weltanschaulichen Ansichten heraus ähnliches wollen / "müssen" - z.B. weil sie in der Fotografie oder Videoaufnahme ihres Gesichts eine "negative" Auswirkung auf ihr ich oder ihre "Seele" oder was auch immer sehen. Wo will man da Grenzen ziehen, die dazu noch alle Weltanschauungen gleichbehandelt?

M.E. ist Religion eine Submenge an Weltanschauung, so wie theistische Religion an Religion. Wenn dem tatsächlich (noch) nicht so ist, kann man meinetwegen auch "Religion" konsequent mit "Weltanschauung und Religion" ersetzen, auch wenn ich das juristisch für "doppeltgemoppelt" halte.

Vielleicht kann da ja z.B. die EU mal wieder neue Klarheit unter den Begrifflichkeiten schaffen? Dann hätte man auch eine Basis die bestehenden Gesetze durchzuschauen und wo nötig zu aktualisieren.
Liborius
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Re: Art. 4 Grundgesetz - "Religionsfreiheit"

Ungelesener Beitrag von Liborius »

Religion kann man nicht mit Weltanschauung gleichsetzen. Religion bedeutet aus dem Lateinischen 'Rückbindung'. Selbst Cicero verwendet aber den Begriff Religion in einem anderen Sinn.

Den Unterschied Religion vs. Weltanschaung kann man an der Person A. Hitler festmachen. Hitler war religionslos, seine Weltanschaung zeigte sich aber ganz perfide in seinen Taten.

Die Väter des GG wollten mit dem Begriff Religionsfreiheit die Wertevorstellung des christlichen Abendlandes normativ beeinflussen. Die Maxime der französischen Revolution: Liberté - Egalité - Fraternité fehlt es an einem bedeutenden Wert - Toleranz. Deshalb sollte man das Wort Religionsfreiheit im Art. 4 GG nicht ändern wollen.
Es gibt aber noch einen juristischen Aspekt für meine Meinung. Selbst mit einer 2/3 Mehrheit könnte man die Artikel 1 bis 20 in ihrem Wesensgehalt nicht ändern. Das ginge nur mit einer neuen Verfassung.
Heinrich5

Re: Art. 4 Grundgesetz - "Religionsfreiheit"

Ungelesener Beitrag von Heinrich5 »

Zitat:
Hitler war religionslos, seine Weltanschaung zeigte sich aber ganz perfide in seinen Taten.
Hitler war nicht religionslos. Es ist zu vermuten, dass Hitler innerlich, mehr oder weniger, religionslos war. Äußerlich hielt er an seiner römisch-katholischen Konfession fest.

http://de.wikipedia.org/wiki/Hitler#Ver ... _SS-Mystik
Verhältnis Hitlers zu Kirche und SS-Mystik
Hitler selbst war katholisch und blieb es bis zu seinem Selbstmord. Einer seiner engsten Vertrauten, Albert Speer, beschrieb einen Widerspruch in Hitlers Verhältnis zur Kirche: Abhängig von dem Personenkreis, in dem er sich befand, schwankten seine Äußerungen von der Ablehnung der Kirche bis hin zur Bestätigung der Notwendigkeit der Kirche für das Volk, weil sie ein „starkes und erhaltendes Element“ sei. Er erklärte Speer gegenüber, er würde sich freuen, wenn ein „bedeutender Kirchenmann“ eine vereinigte Kirche als Staatskirche führen könnte.
Der SS-Mystik, wie Himmler sie zu etablieren suchte, stand Hitler persönlich eher ablehnend gegenüber.
„Welcher Unsinn! Jetzt sind wir endlich so weit, in eine Zeit zu kommen, die alle Mystik hinter sich gelassen hat, und nun fängt der von vorne an. Da könnten wir auch gleich bei der Kirche bleiben. Die hat wenigstens Tradition. Der Gedanke, daß ich einmal zum ‚SS-Heiligen‘ gemacht werde! Stellen Sie sich vor! Ich würde mich im Grabe umdrehen!“
– Hitler, nach den Erinnerungen Albert Speers
Darin unterscheidet sich Hitler auch von Josef Goebbels, welcher ebenfalls aus einem katholischen Elternhaus stammte:
Mit dem Ende des Ersten Weltkrieges erlebte er eine Krise, die zu einer zunehmenden Orientierungslosigkeit führte. Den katholischen Glauben hatte er in dieser Zeit schon länger hinter sich gelassen und war der römisch-katholischen Kirche seiner Eltern gegenüber auf Distanz gegangen.
http://de.wikipedia.org/wiki/Josef_Goebbels

Hitler unterscheidet sich mit seiner „Religionslosigkeit“ nicht wesentlich von heutigen Politikern, welche trotz anderer Überzeugung weiterhin einer Kirche und einer christlichen Partei angehören. Immer nach dem Motto: Wer weiß, wozu ich die noch einmal gebrauchen kann. Das sind auch die Politiker, welche nicht müde werden von einer christlich abendländischen Leitkultur zu fabulieren.

Beinhaltet der Begriff Egalité nicht auch Toleranz?
Zurzeit der französischen Revolution wohl eher nicht. Aber heute hat sich die Definition von Egalité sicherlich auch geändert und schließt Toleranz mit ein.
Heinrich5

Re: Art. 4 Grundgesetz - "Religionsfreiheit"

Ungelesener Beitrag von Heinrich5 »

Zitat Hitler:
Er erklärte Speer gegenüber, er würde sich freuen, wenn ein „bedeutender Kirchenmann“ eine vereinigte Kirche als Staatskirche führen könnte.
Damit unterscheidet sich Hitler nicht von Konstantin "Dem Großen". welcher in seinem römischen Reich das verfolgte Christentum zur verfolgenden Staatsreligion erhoben hat. Er unterscheidet sich auch nicht von den Muslimen, welche den Islam zu einer politischen Religion bzw. zur Staatskirche in den arabischen und anderen muslimischen Ländern gemacht haben.
Christel
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Re: Art. 4 Grundgesetz - "Religionsfreiheit"

Ungelesener Beitrag von Christel »

Heinrich, Hitler wollte Macht! Seine Politik lief auf Gleichschaltung hinaus, die Kirchenpolitik bildete keine Ausnahme.

Innerhalb der evangelischen Kirche führte das zur Spaltung in a) die angepassten „Deutschen Christen und b) die „Bekennende Kirche“ (gegr. 1934, zuvor 1933 der Pfarrernotbund), die sich dagegen wehrte. Letztlich von den Nazis bekämpft und verboten. Die Katholische Kirche versuchte Hitler auch zu vereinnahmen, doch die Gleichschaltung gelang nie vollständig.

Daraus lassen sich Hitlers widersprüchliche Aussagen zur Kirche erklären!

Nachdem was ich, über Hitler las, war zwar seine Mutter gläubig, aber sein Vater hielt nichts von der Kirche. Er war ein „Freisinniger“. Adolf Hitler hatte bereits zur Zeit seiner Firmung mit dem kath. Glauben gebrochen. Ab seiner Jugendzeit war A. Hitler voll und ganz Esoteriker. Hitler war das nicht weniger als Josef Goebbels oder Heinrich Himmler.

Aber Hitler war eben auch Taktiker! Er wußte, dass er mit dieser Weltanschauung in Deutschland keine Mehrheiten gewinnen konnte.

(Ich habe darüber 2 Bücher gelesen: „Hitlers Religion“ von Michael Hesemann http://www.amazon.de/Hitlers-Religion-f ... 3629016782 und Hitlers Theologie von Rainer Bucher http://www.amazon.de/Hitlers-Theologie- ... 3429029856
Siehe auch http://de.wikipedia.org/wiki/Thule-Gesellschaft)

So gesehen unterscheidet sich Hitler‘s Weltanschauung /Religion ganz sicher von der, der meisten heutigen Politiker.

Machthaber wie Hitler versuchen große Gemeinschaften, Institutionen... gleichzuschalten. Mit kleinen... wird weniger Aufwand betrieben, die werden ausgeschaltet.
Bei der Kirche ging Hitler davon aus, dass diese sich über kurz oder lang sowieso erlegt hat (Evolution). Noch hatte die Kirche aber zuviel Einfluss, um sie auszuschalten.

Steht „Religionsfreiheit“ nicht ausdrücklich im Grundgesetz, könnten spätere Machthaber auf die Idee kommen Religionsfreiheit nicht garantieren zu müssen, insbesondere da Zweifel bestehen, ob sie mit dem Begriff Weltanschauungsfreiheit abgedeckt ist.

Grüße
Christel
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Heinrich5

Re: Art. 4 Grundgesetz - "Religionsfreiheit"

Ungelesener Beitrag von Heinrich5 »

Zitat Liborius:
Es gibt aber noch einen juristischen Aspekt für meine Meinung. Selbst mit einer 2/3 Mehrheit könnte man die Artikel 1 bis 20 in ihrem Wesensgehalt nicht ändern. Das ginge nur mit einer neuen Verfassung.
20 Jahre nach der Wiedervereinigung wird es allerdings auch höchste Zeit Deutschland überhaupt erst einmal eine Verfassung zu geben.
Die Väter des GG wollten mit dem Begriff Religionsfreiheit die Wertevorstellung des christlichen Abendlandes normativ beeinflussen.
Die Väter des GG verstanden das GG selbst auch nicht als eine Verfassung für die BRD. Das GG hat den Charakter einer Übergangsregelung und sollte nur bis zur Wiedervereinigung Bestand haben.

In einer noch auszuarbeitenden Verfassung könnte dann auch die nach 1945 eingesetzte Säkularisation Deutschlands und Europas und die fortschreitende Einbeziehung Deutschlands und Europas in die stattfindende Globalisierung Berücksichtigung finden. Die Wertevorstellung des christlichen Abendlandes sieht heute vollkommen anders aus, als noch zurzeit der Formulierung des GG. Schon der Begriff mutet heute irgendwie antiquiert an.
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Re: Art. 4 Grundgesetz - "Religionsfreiheit"

Ungelesener Beitrag von niels »

Religion kann man nicht mit Weltanschauung gleichsetzen. Religion bedeutet aus dem Lateinischen 'Rückbindung'. Selbst Cicero verwendet aber den Begriff Religion in einem anderen Sinn.
Das habe ich so auch nicht behauptet - ich sehe Religion - in der Praxis einer weltanschaulich freien Welt - als "Submenge" von Weltanschauung. Nicht mehr und nicht weniger.

Allerdings sagt "Rückbindung" selbst auch erst mal nicht viel aus - worauf und warum wie wofür wird sich wer wann zurückbinden?

Ich denke der klassische Begriff "Religion" ist so nicht mehr für eine (moderne) gesetzgebung geeignet. Demnach sollte man entweder:
- die Begrifflichkeit neu klären, um daraus dann mögliche Rechtsfolgen abzuleiten, die zu überprüfen sind
ODER
- den Begriff durch einen klarer definierten / aber vor allem definierenden ersetzen

D.h. nicht, das man dazu alle möglichen Gesetze "umkrempeln" oder auch das Grundgesetz inhaltlich ("in Ihrem Wesensgehalt") ändern muß - es geht lediglich um eine Präzisierung der bestehenden Gesetze. Mag aber schon sein, das man dann feststellt, das man das (heute) - oder bestimmte Gruppierungen - so alles gar nicht mehr will.
Den Unterschied Religion vs. Weltanschaung kann man an der Person A. Hitler festmachen. Hitler war religionslos, seine Weltanschaung zeigte sich aber ganz perfide in seinen Taten.
nein,
er ist sogar ein gutes Gegenbeispiel.

Nicht wenige heutige ("Neo-")Nazis sehen in Hitler eine Art "Messias" dessen Lehre klar weltanschauliche Züge hat(te). Selbst Göbbels sah in Hitler - wie er selbst in seine Tagebücher kritzelte: "den Erlöser" - um hier nur einen seiner vielen Begriffe auszukramen.

Bisher hat mir niemand klar definieren können, was GENAU Religion ist und damit vor allem was NICHT. Demnach scheint der Begriff zumindest nicht klar abgrenzend zu wirken, was die betr. Gesetze, die ihn verwenden, unscharf und damit konfliktbehaftet werden bzw. sein lässt. Lasse mich aber gern eines besseren belehren, wenn jemand eine schlüssige Abgrenzung hat.

Ich bin der Meinung, das JEDER die Möglichkeit haben sollte, seinen eigenen Glauben bzw. Weltanschauung zu haben und die Option daraus resultierenden Riten, Kulten und Verhaltensnormen ungestört nachzugehen (soweit diese nicht gegen geltendes Recht oder Gesetz verstoßen - so wie bisher). Wer wollte ihm das - vor allem WARUM - verwehren, wenn es (einigen oder allen) anderen auch erlaubt ist?

In den USA (die ich sonst ungern als "Vorbild" sehe) geht man da folgenden Weg:
Bei Organisationen unterscheidet man m.W. zwischen "gemeinnützigen" und "gewinnorientierten" Unternehmen. Gemeinnützige Organisationen dürfen steuerfrei agieren. Kirchen kann jeder sogar offiziell jederzeit gründen, ob diese als "gemeinnützig" anerkannt wird oder nicht, legt die Satzung der Organisation fest. Dem Staat ist es darüberhinaus relativ egal, was Inhalt, Glaube und Weltanschauung der Mitglieder ist. Demnach hat Scientology die selben rechte und Pflichten wie alle möglichen Sekten und Glaubensgruppen, die katholische oder evangelikale Kirche. Ist das so schwer? Sicher ist Scientology nicht gerade jedermanns Sache und geht u.U. auch kriminellen Machenschaften nach - dann aber kann und muß man diese in einem Rechtsstaat anhand ihrer kriminellen Tuns dingfest machen, denn niemand sollte den Glauben eines anderen bewerten dürfen.

Was würde wohl passieren, wenn in Deutschland - vielleicht sogar in Bayern oder auf dem Eichsfeld - jemand seine eigene Kirche gründet um dann über das FINA eigene Steuern erheben zu wollen oder um täglich mit Heavy-Metal Musik aus Lautsprechern Städte und Dörfer zu beschallen (in der selben Lautstärke - ev. sogar noch zu den selben Zeiten - wie die lokalen Kirchenhäuser)?

Die Bezeichnung "GrundGesetz" halte ich persönlich für gar nicht so antiquiert - eine Umbenennung oder Neufassung in "Verfassung" fände ich gut, halte aber die aktuell politisch Zuständigen für nicht unbedingt geeignet (wenn ich allein an Schäuble mit seinen "sonderbaren Vorstellungen" von "Rechtsstaat"denke) eine auch nur ebenso freiheitliche Verfassung auf die Beine zu stellen.

Tatsächlich IST unsere heutige Gesetzgebung recht vielfältig durch eine Religion / Weltanschauung - das Christentum - geprägt und damit eigentlich nicht mehr zeitgemäß, wenn man tatsächlich Staat (also auch die Gesetzgebung) und Religion / Kirche / Weltanschauung getrennt halten will. Das Argument der Lobbyisten "christlicherseits" das "Abendland hätte ja eine traditionell christliche Prägung, die auch Nicht-Christen heute geprägt habe" so halte ich das für diskriminierend gegenüber Nichtgläubigen / - kirchlichen oder auch "Anti-theistischen". Es käme ja auch keiner auf die Idee, die Nazi-Zeit oder 40 Jahre SED-Regime ähnlich zu betrachten, obgleich alle den Menschen mehr oder weniger "aufgepresst" worden sind damit auch alle unbestrietbar "Prägungen" hinterlassen haben.

Als einzelne Beispiele sehe ich da u.a.:
- Sterbehilfe
- Selbsttötung
- Abtreibung (wenn auch mittlerweile weitgehend gelockert)
- freie Wahl der Bestattungsform
- Stammzellenforschung
- gesetzliche Feiertage (die wollte sich jeder Bürger ggf. selbst zuteilen können o.ä.)
- Verbote von Feiern / Tanzveranstaltungen an bestimmten christlichen Feiertagen
- baurechtliche Fragen
- Versammlungsrecht
usw.

Sicher sind einige der hier genannten Zusammenhänge sicher gesellschaftlich kritisch - das Argument der Gegner, "die christliche Prägung müsse beachtet" werden, hat da m.E. nichts zu suchen. Ebenso wird auch die Forderung nach einem "Gottesbezug" in der EU-Verfassung (oder auch Grundgesetz) diskriminierenderweise begründet...

Immerhin nimmt die zahl der Kirchgänger ebenso ab wie die zahl der christlich Gläubigen, während andere Glaubensformen oder Weltanschauungen zunehmen.
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