emery hat geschrieben: Dienstag 8. Januar 2019, 09:12
Wie bestimmt man den Grad der Übereinstimmung eines Eindrucks mit einer Wirklichkeit?
Das ist eine recht subjektive Angelegenheit. Jeder geht wohl ersteinmal davon aus, dass seine eigene Vorstellung hundertprozentig mit der Wirklichkeit übereinstimmt. Wir kennen ja die Situation aus der Diskussion mit Gläubigen. Da schwankt diese Beurteilung je nach Position des Teilnehmers schnell mal zwischen 0 und 1.
Eigentlich genügt es ja, wenn wir uns aus wissenschaftlicher Sicht bewusst sind, dass die ideale 1, nach dem Motto: "so ist es und keinen Deut anders", praktisch nicht möglich ist, ohne nun nach dem Vorbild der Wahrscheinlichkeitsrechnung einen genaueren Grad bestimmen zu wollen.
emery hat geschrieben:Es könnte sein, dass Wahrnehmungen fundamentale Bestandteile unserer Welt sind, ...
Das verstehe ich nun wiederum nicht. Fundamentale Bestandteile unserer Welt sind ja zwangsläufig Objekte. Soll ich sie wahrnehmen, muss von ihnen etwas ausgehen, z. B. elektromagnetische Strahlung irgendeiner Wellenlänge. Trifft diese auf einen passenden Sensor, löst sie eine elektromagnetische Wechselwirkung aus, die ich ggf. registriere und somit das Objekt, von dem sie ausging, wahrnehme. Wie kann eine solche Wahrnehmung fundamentaler Bestandteil unserer Welt sein?
emery hat geschrieben:... die spontan aus dem Nichts aufschlagen.
??? Hast du vielleicht ein Beispiel?
emery hat geschrieben:Und die daher nicht weiter ergründet werden können.
Ich sagte doch schon, Wahrnehmungen sind Wahrnehmungen. Ich kann sie beschreiben, aber nicht begründen und kann, aber muss sie nicht deuten - falls das das ist, was du mit 'ergründen' meinst.
emery hat geschrieben:Wie verhält sich das zu deiner Aussage, dass alle Erscheinungen dieser Welt durch die Grundkräfte erklärt werden können?
Ganz so habe ich es wohl nicht gesagt, denn das könnte man auch als eine zu starke Vereinfachung deuten. Das waren meine Formulierungen:
"können heute alle Erscheinungen dieser Welt als natürlich erklärt werden, also mit bekannten Ursache-Wirkungs-Beziehungen"
"letztendlich alles Geschehen in unserem Universum auf die 4 physikalischen Grundkräfte zurückzuführen ist"
Du hast nun offenbar einen Widerspruch zwischen meiner Aussage und der wahrnehmbaren Wirklichkeit entdeckt. Meinst du, dass es ja unmittelbar nach dem Urknall noch keine Materie gab und sich somit auch die Grundkräfte noch nicht herauskristallisiert hatten? Ich verstehe jedenfalls deine Frage noch nicht und bitte um weitere Erläuterung.
emery hat geschrieben:Holuwir hat geschrieben: Freitag 4. Januar 2019, 21:55
Je mehr Wahrnehmungen zu keinem Widerspruch führen, desto wahrscheinlicher wird es, dass die Interpretation gut der betrachteten Wirklichkeit entspricht, desto näher kommt ihr Wahrheitswert an 1 heran.
Könnte sein. Akzeptiere ich aber nicht, wenn Falsifikation das einzige Kriterium sein soll. Begründung: Russels Huhn.
"Russells Huhn" ist doch eine schöne Bestätigung der Falsifikation. Eine bisherige, für wahr gehalten Annahme wurde aufgrund einer weiteren, für das Huhn leider finalen, Wahrnehmung widerlegt.
emery hat geschrieben:Du bietest eine Definition von "wahr" an, die sich auf eine Übereinstimmung von Wahrnehmung und Wirklichkeit bezieht. Das bringt dich offenbar zu der Annahme, dass alle Aussagen unmittelbar durch ihnen zugrundeliegende Wahrnehmungen begründet werden können. Was ich bestreite.
Wie begründest du das? Natürlich sind nur Aussagen über die Natur durch Wahrnehmungen begründet. Wie aber sollte es anders sein? Kann man irgendwelche Aussagen über die Natur, die Wirklichkeit machen, ohne dazu etwas wahrgenommen zu haben? Das ist doch per se unmöglich! Darüberhinaus gibt es natürlich mannigfaltige, durch menschliches Denken und Empfinden ausgelöste Aussagen. Phantasie bedarf keiner Wahrnehmung und ihr sind keine Grenzen gesetzt.
emery hat geschrieben:Und du brauchst eine Methode, die sicherstellt, dass die Schlussfolgerung richtig ist.
emery hat geschrieben:Mit Methode meinte ich nicht die eine ewige, wahre, gute und schöne Methode, die sich auf alles, komme was da wolle, anwenden liesse. Sondern jede beliebige Methode, die jemanden davon überzeugt, warum etwas aus etwas anderem folgen sollte. Beispiele: Verifizierung von Voraussagen einer Theorie, klassische Logik, Prüfung auf Konsistenz, ein Bayesianischer Ansatz, Falifizierbarkeit, Naturalness, ein pragmatisches Argument, Übereinstimmung mit den Daten.
Ja, das ist alles gut um die richtigen Schlussfolgerungen aus den Wahrnehmungen zu ziehen. Aber ich kann mich trotzdem irren. Es gibt keine Sicherstellung für Richtigkeit. Alles immer wieder in Frage stellen und weiterforschen (=falsifizieren) ist die einzige Möglichkeit, aus unserer unentrinnbar subjektiven Position möglichst objektive Erkenntnisse zu gewinnen.
emery hat geschrieben:Der Falsifikationsmisus, übrigens, wurde von Karl Popper, beginnend in den 1930ern, aus der Philosophie heraus den Naturwissenschaften angedient. Newton, Darwin, Maxwell und Einstein sind ohne ihn (d. h. ohne beides, Popper und den Falsifikationismus, hehe) ausgekommen.
Aber Newton, Darwin, Maxwell, Einstein und viele andere haben doch genau das gemacht: Falsifikation bestehender Vorstellungen. Popper hat dies nur erkenntnistheoretisch aufbereitet und damit einen Namen gegeben. Oder verstehe ich da etwas ganz falsch?
emery hat geschrieben:Das bestätigt meine Auffassung: Gründe sind uns wichtig.
Selbstverständlich!
emery hat geschrieben:Du versuchst, deine Aussagen mit Gründen abzusichern und Einwände mit Gründen zu widerlegen. Wenn Gründe für den Wahrheitsgehalt von Aussagen unerheblich wären, könntest du dich entspannt zurücklehen.

Habe ich diesen Eindruck erweckt? Das tut mir leid. Noch einmal: Wahrnehmungen kann man nicht begründen, allenfalls beschreiben. Interpretationen dazu aber haben sich allein aus Wahrnehmungen zu begründen. Wir können verschiedene Wahrnehmungen zusammenführen, dürfen sie aber nicht durch Erdachtes ergänzen, das nicht aus Wahrnehmungen stammt. Und über allem tront die Falsifikation.
Bitte bedenke aber auch bei allen Einwänden, dass ich hier keine wissenschaftliche Arbeit zur Physik abliefern will, sondern dass mein roter Faden im Hintergrund die Auseinandersetzung mit der Schöpfungsidee ist, die für die meisten Gläubigen die einzig plausible Begründung für ihren Gottesglauben darstellt und Agnostiker bei der Stange hält.