Hi Holuwir.
Ich gehe davon aus, dass nix für sich genommen wahr ist. Wenn du zeigen willst, dass eine Aussage wahr ist, brauchst du eine Begründung. Die Begründung zeigt, wie die Wahrheit der ersten Aussage aus einer zweiten Aussage folgt. Du brauchst also eine zweite Aussage. Und du brauchst eine Methode, die sicherstellt, dass die Schlussfolgerung richtig ist. Die Methode braucht wiederum eine Begründung, die zeigt, warum diese Methode zu richtigen Schlüssen führt. Und die zweite Aussage braucht wiederum eine Begründung und Methode. Es scheint mir offensichtlich, dass dieses (und jedes) Projekt der Wahrheitsfindung entweder in einen infiniten Regress oder eine Zirkulariät führt. Um einen infiniten Regress zu vermeiden, kannst du dich für eine Annahme (oder einen Satz mehrerer Annahmen) entscheiden, deren Wahrheit du nicht begründest. Diese Entscheidung ist willkürlich: Keine Annahme ist gegenüber anderen Annahmen privilegiert. Deine Entscheidung ist ein Akt des Glaubens.
Dem Widerspricht nicht, dass man Aussagen unter gegebenen Voraussetzungen beurteilen kann. Zum Beispiel ist folgender Satz unter den durch die Allgemeine Relativitätstheorie und dem Standarmodell gegebenen Voraussetzungen falsch:
Holuwir hat geschrieben: Sonntag 30. Dezember 2018, 15:49
Im Gegensatz zum Magnetismus hat Schwerkraft eine praktisch unbegrenzte Fernwirkung.
Die Frage ist jedoch nicht, ob du recht hast, sondern was für Entscheidungen du hinsichtlicher deiner Voraussetzungen getroffen hast. Oder anders gesagt: An was du glaubst. Hier ein paar Anregungen zum erforschen:
"Alles Geschehen in unserem Universum [ist letztendlich] auf die 4 physikalischen Grundkräfte zurückzuführen".
Fokussierung auf Kräfte.
Warum der Fokus auf Kräfte, also die 13 Eichbosonen? Welche Bedeutung haben die 13 Eichbosonen, ohne ihre Wechselwirkung mit den Feldern der Fermionen? Welche Bedeutung haben die Wechselwirkungen ohne den komplexen mathematischen Aparat, durch den sie quantitativ beschrieben werden? Stell dir vor du trägst auf dem Physik-Kongress in Paris im Jahr 1900 vor und schreibst an die Tafel: "Gravitation, elektroschwache Wechselwirkung, starke Wechselwirkung" und teilst dann mit: "damit ist alles Geschehen im Universum erklärt, qed". Die versammelten Physiker gucken dich groß an. Didaktische Reduzierung? Ist es einfacher Gott durch Kräfte zu substituieren, als durch eine Liste von Fermionen, oder ein System mathematischer Formeln? Das erinnert mich an Fausts Übersetzung: "Am Anfang war die Tat (anstatt "das Wort"). Warum wird der Begriff Kraft zunehmend durch den der Wechselwirkung ersetzt? Kraft hat als eine Vektorgröße eine Richtung, Wechselwirkung betont die Gleichberechtigung im Austausch zweier Partner. Wo ist in einem komplexen Netzwerk von Wechselwirkung die Richtung von Ursache und Wirkung festzumachen? etc. pp.
Implikationen von Reduktionismus.
Wenn man sich für einen analytischen Ansatz entscheidet, spricht meinetwegen nichts gegen einen methodischen Reduktionimus. Wenn wir ein Ding verstehen wollen, dann zerlegen wir es in Teile und untersuchen, wie die Teile miteinander interagieren. Dieses Vorgehen befördert unser Verstehen davon, wie das Ding funktioniert, enorm. (Und setzt uns in Stand, das Ding in unserem Sinne zu manipulieren.) Ist es vor diesem Hintergrund richtig, zu sagen, dass das Ding nix anderes als die Teile ist? Die Liste der Teile sagt uns gar nix, wenn wir die Interaktionen nicht kennen. Um das Ding wieder zusammenzusetzen, brauchen wir nicht nur die Teile, sondern auch das Wissen, wie diese sich zueinander verhalten. Ohne das wäre das Ding einfach nur kaputt.
Reduktionimus kann man aus zwei Richtungen betrachten. Die eine ist: Analyse, zerlegen, untersuchen, erklären. Die andere ist: Synthese, zusammenbauen, konstruieren, vorhersagen und begründen. Kann man mit dem Standardmodell quantitativ die physikalischen Eigenschaften von Wasser vorhersagen? In der Praxis nein, aber im Prinzip? Kann man die Gesetzmäßigkeiten der Evolutionstheorie aus dem Standardmodell und der Allgemeinen Relativitätstheorie herleiten? Ohne Zugriff auf entsprechende, makroskopische Beobachtungen zu haben? Durch eine formale, mathematische Herleitung? In der Praxis? Im Prinzip? Was bedeutet hier "im Prinzip" und wie kann man zeigen, dass dieses "im Prinzip" vor dem Hintergrund des Reduktionismus wahr ist?
Guckst du zum Beispiel bei P. W. Anderson. Er hat zur theoretischen Grundlage der Voraussage des Higgs Bosons beigetragen. Man kann also annehmen er weiß, wovon er spricht:
The main fallacy in this kind of thinking is that the reductionist hypothesis does not by any means imply a "constructionist" one: The ability to reduce everything to simple fundamental laws does not imply the ability to start from those laws and reconstruct the universe.
Ontologischer Realismus.
Wie kommt man von einer Theorie, der (zumindest bisher) keiner Beobachtung widerspricht, zu einem ontologischen Realismus? Was sind die Voraussetzungen, um einen ontologischen Realismus zu begründen? Oder ist der ontologische Realismus selbst eine Voraussetzung, die nicht weiter begründet zu werden braucht?
Unbestimmtheit von "alles Geschehen in unserem Universum"
"Alles Geschehen in unserem Universum" ist (im Rahmen der Naturwissenschaften) ein unbestimmter Begriff. Wie kommt man von einer Menge abzählbarer Beobachtungen B1, B2, B3 zu einer Mege [B1, B2, B3, ..., Bn] wenn man die Beobachtungen B4 bis Bn nicht kennt? Ist das ein Induktionsproblem? Ist das Universum abgeschlossen oder unendlich? Was können wir über Teile des Univerums sagen, die außerhalb eines Ereignishorizonts liegen? Welchen Wert hat eine Aussage, die im Zentrum einen unbestimmten Begriff enthält? Welchen Wert hat metaphysische Spekulation?